• Wie im Review zum Viper Turn angedroht, hier das Viper Twin.

    Über die Namensgebung kann ich nur spekulieren, doch wenn ich mir das Turn ansehe, drängt sich ein Verdacht auf; Für mich ist das Twin der 42a-konforme Zwilling. Ein edles Slipjoint mit retrofuturistischer Anmutung.




    Die Klinge aus M390 misst 7,7 cm. HRC 59 - 61. Klingenstärke 3mm. Quelle: Die Homepage von Viper.

    Die Griffeinlagen bestehen bei diesem Exemplar aus grünem Micarta, das sich an ein Gerüst aus Titan schmiegt. Darüber hinaus gibt es sie in verschiedenen Farben und Ausführungen, nämlich Natural Micarta, G10 Red, G10 Ivory und Carbon Fiber Yellow Dark Matter. Letzteres ist jedoch ständig vergriffen und etwas teurer. Die hier gezeigte Variante bekommt man derzeit für knapp unter 200 EUR.

    Das Micarta allerdings lässt bereits erste Kritik aufkochen: Der Rand wirkte von Anfang an abgenutzt. Für mich nicht schlimm, denn es verleiht den Griffschalen einen Rahmen. Schlimmer ist - und ich weiß nicht, woran es liegt - die „Patina“ bildete sich bereits nach wenigen Tagen beidseits und sehr deutlich entlang der Längsachse, wobei das Messer die meiste Zeit in dem mitgelieferten Lederetui schlummerte. Man kann es auf beiden Bildern sehen, so sieht es nach der Reinigung mit Zahnbürste und Spüli aus, nachdem es für etwa zwölf Stunden im Etui verweilte. Eine Reinigung währt also nicht lange. Womöglich ist das Gerüst darunter nicht ganz eben und es bilden sich Hotspots, anders kann ich es mir nicht erklären. Leider nicht schön. Gönnt man den Schalen eine dezente Ballistol-Kur werden sie ganz oliv. Damit man sich das vorstellen kann, immerhin ist die Farbe der Griffschalen häufig ein Kaufkriterium: Die regelmäßig unterbelichteten Produktfotos auf knivesandtools treffen den Farbton der gewöhnlichen stellenweisen Abnutzung ganz gut. Wenn man die Griffschalen mit Ballistol behandelt, dann wird es noch eine Spur dunkler, aber mit einen Braunstich. Ich finde es dann fast schon eklig, als hätte ein Hund draufge...macht, nachdem er eine Unmenge Gras gefressen hat. Im bestmöglichen Zustand hingegen ist das Material nicht so schön wie auf der Homepage von Viper (.it). Ich habe mich bemüht, die Farbe möglichst authentisch zu erfassen und die angefügten Fotos sehen zumindest auf meinem Monitor sehr realitätsgetreu aus. Dass nicht jedes Micarta gleich ist, ist mir klar. Aber ich habe nun mal nur dieses Exemplar und kann bloß davon berichten. Insgesamt also keine Katastrophe, aber schade.



    Walk & Talk hingegen machen diesen zeitweiligen Schönheitsfehler wieder wett. Satt und definiert. Besonders die zweite Hälfte geht streng und der Widerstand gegen das Schließen ist ordentlich. Kein Vergleich zu den klassischen Schweizermessern & Co, eine ganz andere Liga. In dem Preissegement aber auch nicht anders zu erwarten. Das heißt aber auch, dass man etwas Kraft benötigt, um das Messer aufzuklappen und zu schließen. Der Nagelhau kann dabei allerdings zum Feind werden (s.u.).

    Für mich bedauernswert, für Andere vielleicht wünschenswert: Kein Clip. Aber auch kein Firlefanz. Nicht einmal ein Nagelhau auf der anderen Seite. Ich schätze die Clips deshalb so sehr, weil das Messer dadurch nicht in der Tasche liegt und diese ausbeult, sondern lediglich an der Tasche hängt und sie dadurch flach bleibt. Das ist natürlich persönliche Präferenz, aber wer sich ein derartiges Messer anschafft, weiß ohnehin bescheid.

    Auch beim Twin ist das Chimping gelungen. Es ist natürlich kleiner und feiner gehalten als beim Turn, bietet aber eine gute Kontaktfläche. Zweckmäßig, ganz nach dem Motto: Besser als nichts und gerade wenig genug, um nicht in Versuchung zu geraten, zu viel Druck auf den Klingenrücken auszuüben.


    Nun ein amS weiterer, aber sicherlich strittiger Schwachpunkt: Der Halfstop äußert sich aus der Sicht der Finger eher wie ein 40% Stop. Würde die Klinge auch äußerlich bloß minimal früher stoppen, wären die Finger geschützter. So jedoch fügt es im Falle des versehentlichen Zuklappens immerhin einen festen Schnitzer zu. Wohl nicht allzu schlimm, denn die Schneide geht ja nicht bis ganz nach hinten und der kräftige Halfstop ist auch etwas wert, aber es ginge auch besser. Die Klingengeometrie schreit förmlich nach einem Drittel-Stop, das wäre amS eine passende Lösung, bei der man auf nichts verzichten müsste. Allerdings, wie bereits geschrieben, die Rückenfeder ist stark und hält die Klinge ziemlich fest, daher sollte die tatsächlich umgesetzte Lösung in der Praxis keine Probleme bereiten, sofern man das Messer nicht völlig zweckentfremdet. Wenn jedoch Nicht-Messernerds damit hantieren... Jeder findet es schön, jeder will es einmal angreifen, jeder klappt es mühevoll auf, dann kommt der kräftige Widerstand beim Schließen, dann wird es fummelig, meine vorherigen Warnungen werden vergessen, meine nun folgenden Worte prallen ab, plötzlich wird umgegriffen um das Messer fester zu halten und *schnapp*. Wie die kleine Töle, nur umgekehrt: "Der tut was, der will nicht nur spielen", oder "Der bellt nicht, der beißt nur". Diese italienischen Schlangen scheinen etwas gegen Finger zu haben, denn das Turn ist diesbezüglich ja auch recht fies, zumindest anfangs; Als ob man beim ersten Date eine Ohrfeige zur Begrüßung kassiert. Voller Temperament, daran muss man sich unter Umständen erst gewöhnen. Love it or leave it!

    Nein, es nützt übrigens nichts, den Zeigefinger ganz oben zu lassen. Warum auch immer man das bei einem Slipjoint überhaupt machen sollte, aber Sachen gibt´s, die gibt´s nicht. Denn solange man keine Spaghetti-Finger hat, wird man trotzdem von der scharfen Klinge berührt. Außerdem drückt die Klinge derartig stark an, dass der Finger vermutlich ein Stück nach unten rutscht.

    Der restliche Weg (erste Hälfte beim Aufklappen = zweite Hälfte beim Schließen) ist schon etwas sanfter. Sollte es ganz zuklappen, bleiben die Finger vielleicht sogar dran ;)


    Ein weiteres Minus ist die praktisch nicht vorhandene Schleifkerbe.

    Den bloß einseitigen Nagelhau kann man tendenziell ungenutzt lassen, der hat wohl eher symbolischen Charakter und zieht richtig fest am Fingernagel. Die Klinge bietet aber genug Angriffsfläche und der Nagelhau fungiert als Kontaktpunkt. Wie bereits geschrieben, die erste Hälfte des Öffnungsweges geht nicht zu streng, daher alles gut. Selbst mit leicht öliger Klinge kein Problem. Mit einer entsprechenden Verletzung oder Erkrankung von Hand oder Finger jedoch könnte das Öffnen - ob nun trocken oder nicht - zur Aufgabe werden. Bzw könnte ich mir vorstellen, dass der Nagelhau diesfalls als Notlösung an Nützlichkeit gewinnt. Zumindest theoretisch.


    Das war nun haufenweise Kritik und man möchte meinen, dass ich nicht viel von dem Messer halte. Stimmt aber nicht, ich liebe dieses Messer. Wie so oft im Netz findet man überwiegend Positives mit werbebehaftetem Hintergrund. Mein Review soll eben auch die andere Seite zeigen. Die Kritikpunkte umschreiben lediglich mangelnde Perfektion. Doch, wie fast alles, haben auch die Nachteile eine Kehrseite: Die Klingengeometrie sorgt dafür, dass Zugschnitte wie von selbst funktionieren, das Micarta sorgt für einen rutschsicheren Halt und wenigstens zwischenzeitlich ist es hübsch, das Titangerüst bietet eine gewisse Pflegeleichtigkeit, M390 sowieso, statt dem Clip gibt es ein attraktives Ledertäschchen und für anspruchsvollere Arbeiten nimmt man ohnehin etwas anderes. Flach und trotzdem handlich, klein aber nicht zu klein, sehr scharf und mit Kurven an den richtigen Stellen. Insgesamt und in Anbetracht der Zweckwidmung solch eher klein geratener Messer ist es ein italienisches Designerstück, bei dem die Qualität allgemein passt und das obendrein nicht zu teuer ist.

    Ansonsten gibt es nicht viel dazu zu sagen; Es ist ein Slipjoint.

  • wenn ich mir Bilder von einem geschlossenen Twin anschau, hätte man sich den Nagelhau schenken können, da wäre genug Fleisch dran. Die Klinge würde cleaner wirken. Dann noch dieses elende Viper Billboarding weg, aber davon rücken sie ja leider nie ab, eine saubere Klinge wirkt imho immer edler als Logo, Firmenname, Modell, Seriennummer und am besten noch 5 andere Laserungen drauf. Eine Unsitte die andere Hersteller zum Glück schon länger nicht mehr fabrizieren bzw die Beschriftungen sehr minimalistisch halten.

    Die Makersmark von Fabrizio Silvestrelli sieht ja wenigstens noch gut aus, die wirkt auch nicht deplatziert.

  • Sehr schönes, ehrlich geschriebenes Review, das einem schon den rechten Eindruck von diesem hübschen Messer vermittelt. Vielen Dank dafür! :thumbsup:


    (Klingenbeschriftung weg / auf`s Ricasso und gut ist`s.) ;)

  • Ich finde auch, dass die Schriftart nicht zum sonstigen Design des Messers passt (auch nicht beim Turn) und außerdem zu groß ist. Eine elegantere, evtl lateinische und jedenfalls kleinere Schrift fände ich angemessener. Aus irgendeinem Grund aber stört es mich nicht. In natura ist's für meine Augen wesentlich weniger penetrant, als auf den Bildern. Keine Ahnung wieso, typischerweise sollte ich deswegen auch motzen. Aber ich finde bspw die Logos von Fox oder Spyderco patziger. Ganz nackte Klingen mag ich aber auch nicht. Giantmouse macht es für mich genau richtig. Es geht also besser, aber auch schlechter. Ich kann gut damit leben.

  • Klasse Review, lustig und auch schonungslos gegenüber den kleinen Macken! Ich gebe meinen beiden Vorrednern recht, ohne das Geschriebsel-gedöns auf der einen Seite wäre das Messer noch interessanter, sprich schöner. Trotz aller Kritik ein toller Folder!

    PS: bin ich der Einzigste, der des öfteren „Probleme“ mit dem Begriff „Grünes Micarta“ hat? Bei diesem Viper kann man ja noch grün im Ansatz irgendwie erkennen, aber viele Messer werden mit grünen Micarta beworben, die in meinen Augen eindeutig braun sind!? Na egal, wenn man‘s weiß, weiß man auch was man bekommt! 8o

    Danke für das gute Review, Diener… hat Spaß gemacht es zu lesen!

    Gruß Gerd

    ... und immer einen ungeschälten Apfel in der Tasche! :thumbup:

  • Ich habe auch schwarzes Micarta, das eher grün ist :D

    Mein Twin sieht danach aus, als wär's in den Schlamm gefallen und dann zum Trocknen zu lange in die Sonne gelegt worden. Aber je Nacht Lichtquelle und Lichteinfall erkenne ich schon auch einen Grünschimmer. Hurra!

    Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, ob ich grün oder natural wollte, daher verbuche ich diese Mischung unter höherer Gewalt.

  • sorry für offtopic… beides läuft unter grünes Micarta… Das AK09 würde ich gerade so als grün noch durchgehen lassen, das Ace Farley ist für mich einfach braun oder meinetwegen auch natural.

    ... und immer einen ungeschälten Apfel in der Tasche! :thumbup:

  • Forrest Gump sagte: "Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel".

    Ich sage: "Micarta auch"

    8o


    Beim Twin ist die mMn schönste Version in CF leider kaum zu bekommen und G10 ist mir zu gewöhnlich für solch ein Messer. Bleibt also nur Micarta. Man kann eben nicht alles haben.

    Btw, eine Version hatte ich in meiner Aufzählung vergessen: Falls jemand einen Tausender locker machen möchte, bekommt er Folgendes dafür, allerdings nur als Trio:

    Mother of pearl Collection |
    Precious Mother-of-Pearl Collection made up of 3 knife models: TWIN, KEY, HUG with double titanium bolsters and liners single piece and paired with…
    viper.it
  • diener81

    Sehr schönes Review mit vielen sehr persönlichen Eindrücken. Und ich schließe dem Fazit von Dir und khayman gerne an:

    Trotz aller Kritik ein tolles Messer!


    Nebenbei, was das Folgende betrifft:

    Der restliche Weg (erste Hälfte beim Aufklappen = zweite Hälfte beim Schließen) ist schon etwas sanfter. Sollte es ganz zuklappen, bleiben die Finger vielleicht sogar dran ;)

    Da scheine ich mit meinem Twin (was mich bei einer Serienfertigung eigentlich wundert) mehr Glück gehabt zu haben;

    In der zweiten Hälfte klappt rein gar nichts von alleine zu. Im Gegenteil: Ich muss leichten Druck auf den Klingenrücken ausüben. Bis auf die Stelle, die auf dem Bild sichtbar ist. Erst danach setzt die Federspannung minimal ein, und die Klinge schließt gaaanz sanft von alleine. ;)

  • Du hast recht. Danke für den Hinweis! So genau hatte ich mir das noch gar nicht angesehen, weil ich das Messer nicht derartig langam schließe. Der Halfstop ist deutlich ausgeprägt und um es nicht sofort gänzlich zu schließen, muss ich mich schon darauf konzentrieren. Ich habe das nun getestet und bei meinem ist tatsächlich noch ein "Leerweg". Aber nicht so lang, wie bei deinem. Nach einigen Versuchen habe ich Folgendes geschafft:

    Danach geht aber fast nichts mehr, 2 Millimeter weiter und es schnappt zu wie ein Krokodil.

    Dein Micarta ist schön, das hätte ich auch gerne.

  • PS: bin ich der Einzigste, der des öfteren „Probleme“ mit dem Begriff „Grünes Micarta“ hat?

    sicher nicht, das Micarta Universum stellt wohl jeden immer wieder mal vor div Fragen. Welche Farbe ist es denn jetzt nun wirklich ? Warum ist schwarz so gut wie nie schwarz ? Fasst sich das Messer dann eher Textil oder eher nach Kunststoff an? zerfasern die Ränder? Wenn da poliert steht, wie stark ist es dann poliert ? Wenn ich mir zb 5 Messer Modelle unterschiedlicher Hersteller mit sagen wir konkret Burlap Micarta braun hole...warum schaut jedes anders aus ? Westinghouse, Burlap, Canvas, Jeans, Jute, Linen,Elfenbein,...was ist da jetzt nochmal was ?

    Ich sage, entweder es ist einem nicht so wichtig und man nimmt was eben daherkommt oder man kauft nur wenn man das Ding vorher in der Hand hatte :)

    Das hört sich jetzt ein wenig nach Verteufelung des Materials an, bzw könnte man es auch so auslegen das Hersteller,Fotografen und Werbemenschen es einfach nicht schaffen da Klarheit zu schaffen, ist es aber nicht. Ich mag Micarta und nehme gerne Modellvarianten wo es meiner Meinung nach besser passt als sagen wir Titan plain oder CF und ich lasse mich dann eben überraschen wie das dann wirklich aussieht.

  • Ich mag Micarta und nehme gerne Modellvarianten wo es meiner Meinung nach besser passt als sagen wir Titan plain oder CF und ich lasse mich dann eben überraschen wie das dann wirklich aussieht.

    da bin ich ganz bei Dir! Ich mag auch Micarta! Die Beschreibungen bzw. das was man dann erhält erzeugt nur manchmal an mir ein leichtes Augenrollen und verschmitztes Kopfschütteln, wenn ich wieder gelesen habe „Grünes Micarta“ und es so gar nicht grün grünt … 8) … das Messer bzw. die Freude an selbigen schmälert es meist nicht.

    Gruß Gerd

    ... und immer einen ungeschälten Apfel in der Tasche! :thumbup:

  • das arbeitet halt meistens :) gut, kann man beim Micarta auch sagen das es Patina bildet, aber formbeständig ist es halt schon. und es ist wie immer natürlich Geschmacksfrage, bei Holz bin ich zb weiterhin zu 99% draussen, bei Horn und Geweih dagegen war ich es mal zu 100%, mittlerweile sieht das aber anders aus. So n tacticooles oder modernes Messer gepaart mit was klassischem das haptisch auch seine Reize hat, why not.

  • ja, Geschmack kann sich auch mal ändern, auch wenn es Jahre dauert. Ich mochte früher auch keine Bowies und jetzt nehm ich jede Gelegenheit für ein kompaktes Bowie wahr wo es nur geht, zuletzt ein Afonchenko Street Bowie. Wäre vor einigen Jahren niemals in meiner Sammlung gelandet

  • Geschmäcker ändern sich, ich war lange kein Fan von Slipjoints. Dann erspähte ich u. a. das Twin.

    Btw, es dürfte sich wirklich bloß um "schlechtes" Micarta handeln. Unter den Griffschalen ist es glatt, die Griffschalen selbst sind an der dem Rahmen zugewandten Seite ebenfalls so glatt, wie Micarta nun mal sein kann. Folgendermaßen sieht es unmittelbar nach der Reinigung aus (weiche Bürste, Spüli, heißes Wasser), luftgetrocknet:



    Bis auf Vignette und Bildgröße unbearbeitet, natürliches Licht, Weißabgleich passt. Genauso sieht es in natura aus. Grüner wird es nicht, fleckenärmer auch nicht. Und weil es so hell ist, sieht man jeden Fingertapser, solange die Hände nicht unmittelbar zuvor gründlich gewaschen wurden. Ich denke, ich werde dem Teil eine Patina zugestehen und es nehmen, wie es kommt. Alles andere erscheint mir unverhältnismäßig.