Ratlos: Messer vs Küchenrolle

  • Liebe Community,

    ich bitte darum, die naive Anfängerfrage zu entschuldigen.

    Folgendes Luxusproblem: U. a. beeinflusst von Erzählungen, Videos, etc, bezüglich extrem scharfer Klingen, bin ich natürlich versucht, auch meine Messer ordentlich scharf zu bekommen. Mein Weg zum Ziel ist eine Worksharp Precision Pro Elite mit Diamantsteinen (dennoch angegeben in Grit und zwar) 220, 320, 400, 600, 800 und Keramik, sowie einem halbherzigen (grünpastierten) Strap. Ich schleife meine Folder mittlerweile fast ausschließlich auf 800. Laut Theorie aus den Weiten des www: Bei 600 ist es zwar gefühlt schärfer (zahniger) nützt sich aber schneller ab. Mit Keramik hingegen (k.A. welcher Körnung das entspricht) spiegelt die Klinge schon stark und die Schnitthaltigkeit bleibt länger erhalten, aber es wirkt stumpfer (weil quasi zahnlos). Diesfalls muss man schon ein wenig nachhelfen, um das Medium initial zu durchdringen, bspw mit etwas stärkeren Zügen. Ich versuche also einen Mittelweg zu finden, mit dem ich so selten wie möglich schärfen muss und dennoch Schärfepotential des Stahls ausschöpfen kann. Darum 800.

    Einerseits das Narrativ, dass sich mit der richtigen Schärfe sogar Haare spalten lassen. Andererseits mein Ergebnis, dass ich mit meinen Klappern gerade mal flüssig Papier in Wellen schneiden kann, allerdings auch nur per zumindest kleinem Zugschnitt. Wenn ich mit dem Finger seitlich über die Klinge streiche, dann wirkt es jedenfalls stumpfer, als die Performance in Papier vermuten lässt. Rasieren kann ich mich mit meinen Foldern, wobei man dem Gestrüpp auf meinen Unterarmen mittlerweile schon fast eine Frisur attestieren könnte. Dennoch, es wirkt wesentlich stumpfer als eine gewöhnliche Rasierklinge und ohne Züge wellt sich das Papier irgendwann (Collegeblock, also ziemlich dünn). Küchenrolle ist überhaupt der Endgegner für meine Messer: Um da rein zu kommen, muss ich das Stück schon sehr stark spannen und selbst dann muss ich "durchsägen".

    Ich weiß, dass nicht nur das Metall und der Stein, sowie die richtige Schleifmethode allein für das Ergebnis verantwortlich sind und dass Klingenstärke, Klingengeometrie, Fase, etc, ebenfalls eine tragende Rolle spielen.

    Nun die Fragen:

    1. Gibt es einen Bereich, in dem das Schärfen "stumpfsinnig" ist? Ich meine bspw, dass die Schärfe zwischen 800 und 1500 nicht nennenswert zunimmt, bzw sich nur in ganz bestimmten Anwendungsfällen merklich auswirkt und, dass man nur darunter und darüber einen Unterschied bemerkt? Ich frage quasi nach einem Totraum.
    2. Wenn man nun Schnitthaltigkeit ausblendet und einen adäquaten Stahl heranzieht, wie schafft man es, erfolgreich Haarspalterei zu betreiben? Geht das überhaupt mit Magnacut oder M390 und meiner Ausrüstung?
    3. Wo ist die Grenze einer realistischen Erwartung? Ich will zumindest durch ein Stück Küchenrolle schneiden können, oder ist das schon zu viel verlangt?

    Ich nutze meine Klappmesser wofür man solche Messer eben nutzt: Kartons, Baguettes, Schnüre, etc. Von "brauchen" kann also keine Rede sein, dafür sind sie jedenfalls scharf genug. In Wahrheit brauche ich aber ein neues Projekt, um mich wieder mit meinen Messern zu beschäftigen. Aber plan- und sinnlos herum probieren will ich auch nicht. Darum quäle ich euch. Danke im Voraus!

  • Maximale (Druck-) Schärfe bedeutet, dass die Schneidkante dünner ist als Karbid-Durchmesser. Karbidbildner machen bei zwangsläufig größeren Schneidenwinkeln (um die Karbide halten zu können) und also bei zwangsläufig breiteren (stumpferen) Schneidkanten durch ihre harte "Karbidzahnung" gute und stabile Zugschnittschärfe.

    Unlegierte oder niedriglegierte Kohlenstoffstähle sind dünner (und schneller, einfacher, bequemer) ausschleifbar als Karbidbildner und PM-Stähle. Ihre minimale Schneidkantenbreite ist zum Teil nur ein Zehntel von denen der "modernen" Stähle. Darum sind Rasiermesser überwiegend "alte Roster".

    M390 gehört nicht zu den superscharfen Stählen.

  • "Stumpfsinnig" ist es so etwas hinterherzujagen auf Teufel komm raus :) Winkel und Schärfegrad hängt immer mit Material und Einsatzzweck ab.

    Ich mag selbst auch ganz gern eine spiegelpolierte Fase, die bekomme ich am Worksharp (Ken Onion mit Blade Grinding Attachment) auch relativ leicht hin, aber ich halte sie dann nie wirklich in Stand, denn zwischendurch abgezogen wird ohne Rücksicht auf den Spiegel. Es macht imho bei kaum einem Messer Sinn es deartig auszuschleifen das frei stehendes Küchenpapier damit geschnitten werden kann, der Effekt hält nicht lange und man hat im Regelfall eine wenig stabile Schneide.

    Auch der andere Hokuspokus, voin wegen Stahl X darf man HÖCHSTENS mit Grid so und so schärfen, man schärft nur eine Seite bis Grid A und die andere Seite feiner oder gröber...ne, das ist für mich alles nix.

  • Sehr gute Antwort Bernd! Man kann also kein Allgemeinrezept geben für das optimale Schärfen. Jeder Stahl hat da seine eigene Maximale Schärfe.

    Diese Frage, und andere, bezüglich Kantengeometrie, Kantenbeständigkeit, Zähigkeit, und Bedeutung von Carbiden incl. Mikrofotografien der Carbidstruktur findest Du in diesem sehr interessanten, wissenschaftlichen Artikel hier.

    in Englisch: https://knifesteelnerds.com/2021/10/19/kni…ion-resistance/

    oder computerübersetzt

    Knife Steels Rated by a Metallurgist - Toughness, Edge Retention, and Corrosion Resistance - Knife Steel Nerds
    Steel Metallurgist Larrin Thomas uses tests of knife steels to rate the steels and explains the factors that control performance.
    knifesteelnerds-com.translate.goog

    Ums vorwegzunehmen: Hier gibts auch keine ultimative Lösung, aber viel zu lernen ;)

    Gruss Jürgen

  • Artikel ist bekannt, darum frag ich ja euch. Mich interessiert, wie ihr etwas macht. Ich möchte einmal eine Klinge hinbekommen, vor der die Küchenrolle erzittert. Danach ist es abgehakt und wieder Platz für die nächste Spinnerei.

  • Hallo!


    Ich kann Dir nicht sagen, wie du es schaffst, dass die Küchenrolle vor deinen Messern zittert, aber das ist auch ein nicht sehr dankbares Schneidmedium.


    An deiner Stelle würde ich noch einmal die Grundlagen des Schärfens in einzelnen Schritten hinterfragen. In diese Verlegenheit komme ich immer dann, wenn ein Messer nicht die Schärfe hat, die ich mir wünsche, ich aber eigentlich vermeintlich alles richtig gemacht habe.

    Was mir immer hilft sind folgende Schritte:

    1. Treffe ich beim schärfen wirklich die Schneidenspitze? (Eddingmethode)

    2. Schärfe ich beidseits die Schneide wirklich durch? (ungleicher Anschliff)

    3. Überprüfung der Schritte 1 und 2 mit einer Lupe

    4. Wiederholung der vorgenannten Schritte bei jeder neuen Körnung.

    5. Am Ende Überprüfung mit Lupe und Fingernagel, ob der Grat sauber entfernt wurde, die Schneide geschlossen ist und ob die Klnge gut in die Unterarmhaare beisst.

    Ergebnis: Alle Messer, Äxte, Macheten...gleich welcher Stahl, spalten Haare.

    Zum Schärfen nehme ich Micro Mesh bei den Äxten und Puukos und ziehe ab, bei den Messern mit Fase den Sharpmaker (falls die Schärfe nicht allzu sehr davor gelitten hat) und dann nehme ich einen alten Ledergürtel mit Paste von Scherenkauf.

    Diese Schärfe geht übrigens nicht sofort flöten, sondern lässt sich vielmals mit dem Ledergürtel wieder erzeugen. Überdies macht für mich das Ganze deshalb Sinn, weil ich bei diesem Endergebnis weiß, dass ich technisch sauber geschärft habe.

    Die Ausnahme bei dieser Methode bildet ein Manly S90V Messer. Ich erkläre mir dies so, ohne dies wissenschaftlich belegen zu können:

    Es spaltet Haare, aber mit dem Gürtel komme ich nicht allzu lange wieder aus. Hier bräuchte ich wohl Diamantsprays auf dem Leder, weil diese auch die Karbide schärfen und nicht nur das Material um die Karbide "wegpolieren", was dann zu einem eher raschen abstumpfen führt, wenn die Karbide keinen Halt mehr haben.


    Gruß


    The Lem

  • 1, 2 und 5 mache ich. Allerdings ohne Lupe, bei den kleinen Schneiden bräuchte ich eher ein Mikroskop. Aber gut, eine Lupe wird zum Einsatz kommen, kann nicht schaden. Resp verpasse ich dem Messer manchmal gleich einen anderen Winkel, dann erübrigt sich 1.

    Dass eine Axt Haare spalten kann, verwundert mich allerdings. Was sind denn das für Haare, alleine die präzise Ausrichtung der Axt auf das Follikel, bzw erst recht auf die Haarspitze, stelle ich mir nahezu unschaffbar vor. Das geht mit einem kleinen 100g-Teil wesentlich einfacher. Oder meinst du rasieren?

  • Das meine ich:

    Roselli Axe Sharpness Test

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    Bitte entschuldige die Qualität. Ich wollte mein Gesicht nicht vor der Kamera haben und packe gerade für den Urlaub.

    Eigentlich klappt das besser, aber ich musste das Haar und die Axt in einem ungewohnten Winkel halten und wollte dennoch nicht mit dem Finger das Haar stützen.

    Eine kleine Schneidbewegung ist drin, kein reiner Druckschnitt.


    Gruß


    The Lem

  • Vielen Dank für deine Mühe! :thumbup:

    Ich hätte mich präziser ausdrücken sollen: Haare spalten =/= Haare schneiden. Ich meinte vertikale Schnitte, also dem Haar entlang. Das hab ich auch schon gesehen, auch wenn das amS bis dahin undenkbar war. Aber Haare schneiden ist wohl näher an der Alltagsrealität, das wäre auch schon ein großer Fortschritt für mich.

    Ok, also Lupe, passenderer Stahl und auch zwischendurch akribisch kontrollieren. Ich werde mich bemühen.


    Danke an alle!

  • Ganz am Ende des Videos ist das Haar gespalten/ geschnitzt.

    Aber eines ist ganz klar, der Axtkopf ist derart massiv, das geht natürlich mit einer dünnen Schneide besser.

    Gruß


    The Lem

  • Ich habe jetzt einen mit Diamantpaste vesehenen Abziehblock von

    Schmiedeglut ( ca. 206 €). Er hat 5 Werkzeuge in einem, daher ist der Preis angemessen.

    In wenigen Minuten kriegst du alle Klingen rasiermesserscharf.

    Ich bin begeistert von diesem Produkt und bekommen keine Provision. ^^

    Gruß

    Bernhard

    Man muß Gott danken, selbst für einen Unterfranken.
    Nunc est bibendum (Lasst uns trinken!) :beer: (Kellerbier)

  • in wenigen Minuten aber nur wenn die Schneide noch halbwegs tauglich ist und auch kein Superhighendstahl verwendet wird. Eine runtergerockte ZDP-189 Klinge oder was ähnlich hartes ist auf einem manuellem System keine Freude und braucht definitiv mehr als wenige Minuten um auf Vordermann gebracht zu werden.

  • Bladerunner : stimmt, aber ein ordentlicher Messernutzer lässt es nicht

    soweit kommen eine Klinge total runterzurocken.

    Meine Küchenmesser halte ich mittels Diamantleder immer rasiermesserscharf.

    Gruß

    Bernhard

    Man muß Gott danken, selbst für einen Unterfranken.
    Nunc est bibendum (Lasst uns trinken!) :beer: (Kellerbier)

  • Sorry, wenn ich hier "gluckscheiße" aber niemand sollte ein Küchenmesser rasiermesserscharf haben wollen. Rasiermesser haben einen Schärfwinkel von 15-18 Grad. Wenn ich ein Küchenmesser so schärfe, hält bei normaler Nutzung die Schärfe einige wenige Schnitte und das Messer ist "stumpf". Je nach Stahl/Härte hat sich die Schneide umgelegt oder ist ausgebrochen.

    Ein Küchenmesser sollte maximal "tomatenscharf" sein. Mehr Schärfe braucht es in der Küche nämlich einfach nicht. Das kann ich auch mit einem Schärfwinkel von 30-40 Grad erreichen und hab da noch den Vorteil, dass diese Schärfe lange hält (bei meiner Nutzung 3-6 Wochen).

    Diese ganzen Tests im Internet langweilen mich einfach nur noch. Maximalschärfe ist nicht das, was ich anstrebe, sondern ein Maximum an sinnvoller Schärfe und Standzeit. Und das gilt sogar bei Rasiermessern. Selbst dort kann man es mit der Schärfe übertreiben und bekommt dann ein RM dass den Haartest spielend meistert, aber trotzdem total unangenehm und "beißend" rasiert.

    Only my 2cent ;)

    Mit dem Messer, rasiert es sich besser.

  • Buddel Das ist kein klugscheissen, sondern sehr sachlich und sinnvoll was Du schreibst.

    Nur: Der Themenstarter will die maximale Schärfe und ist auf der Suche nach dem Weg dorthin.

    Rasurschärfe ist für mich im Übrigen nicht Rasiermesserschärfe. Nur wegen den Begrifflichkeiten.

    Die maximale Schärfe (oder richtiger: so gut ich das eben hinbekomme) ist für mich ein Indikator, ob ich alles richtig gemacht habe. Das endet dann eben in einer Rasurschärfe, die eben auch Haare kappt oder spaltet, auch bei 40 Grad gesamten Winkel.

    Und diese Schärfe ist haltbar, weil im Zweifel sauber durchgeschärft wurde und keine Schadstellen übersehen oder nicht ausreichend behoben wurden.


    Gruß


    The Lem

  • Gut dann wollen wir ihm helfen ;) Die maximal mögliche Schärfe wird er mit einem feinkörnigen Stahl erziehlen (Standzeit ist ja kein Thema). C100, Feilenstahl, Weißer Papierstahl, 1.2210 so was in der Art. Schärfwinkel 15 Grad, weniger ist dann wirklich quatsch. Winkelgeführtes Schleifsystem mit schöner Progression und ab 10.000er Stein mit sehr wenig Druck.

    Finish mit 15k+ und danach den Grat noch schön auf Lederriemen (Chromoxid und Pur) überzüchten. Damit kann er dann ein freischwingendes Haar in 1-2 cm Abstand zum Haltepunkt kappen. Weitere Anwendungsfälle fallen mir nicht ein :D

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    Mit dem Messer, rasiert es sich besser.

  • Klingt ja alles ganz witzig. Ich möchte es bloß 1x geschafft haben, das ist der einzige Sinn und Zweck. Die im Eingangsposting hinsichtlich Aufwand und Ausrüstung genannte Grenze ist die Worksharp, daher versuche ich es wie von The Lem beschrieben. Und eigentlich geht's um Folder und Küchenrolle, Haarspalterei wäre ein Bonus. Was geht - geht, was nicht geht - geht eben nicht.

  • ... ach, irgendwie ist mir auch gerade so nach Klugscheißen: Aogami wurde in blauem Papier verpackt. Shirogami in weißem. Beide Stähle sind aus Stahl und nicht aus Papier. Deshalb gibt es auch keinen blauen oder weißen Papierstahl, sondern nur Blaupapier-Stahl und Weißpapier-Stahl.

    So, hat gut getan. ;)

    Sorry

    Bernd (der Name kommt aus dem Hochgermanischen und bedeutet: Stinker, der unnötige Weisheiten verbreitet)

  • Taten statt Reden:

    Habe das günstigste (ausreichend große) Messer genommen, Cold Steel Verdict, AUS10. Über 6 Stunden geschärft, nach The Lem´s Anleitung (aber ohne Lupe), verteilt auf Tage. Das geht als Leistungssport durch. 16° ex, weniger geht mit der Worksharp in der Praxis nicht. 800 und Keramik, feiner hab ich´s nicht.

    Ergebnis: Naja. Immerhin wird die ganz leicht gespannte (gerade damit sie nicht einfällt) Küchenrolle wirklich geschnitten und nicht mehr gerissen, wie mit meinen anderen Messern. Für mich erst mal ausreichend. Ich habe die Grenzen ausgeschöpft, besser kann ich es nicht, oder besser kann es meine Ausrüstung nicht, oder beides. Irgendwann versuche ich es wahrscheinlich wieder, aber mit einem anderen Stahl und einem anderen Schleifsystem.

    Danke für die Hilfe :thumbup: