High-End der 90-er: C22 Klötzli Walker und C27 Jess Horn

  • In den heutigen Zeiten von SuperDuperStählen, exotischen Griffmaterialien, Titanframelocks und kugelgelagerten Klingen vergessen viele gerne mal, dass auch unsere Altvorderen schon wussten, wie man gute Messer baut.
    Und so möchte ich heute mein persönliches Spyderco-Schatzkästlein mal wieder öffnen und euch zwei Modelle aus dem Jahr 1994 vorstellen.
    Beide waren, was die gewählten Materialien und die Verarbeitung anbelangt, ihrer Zeit soweit voraus, dass sie auch heute noch im Sortiment eines jeden Herstellers bestehen könnten.

    Ich kenne keinen Spyderco-Sammler, für den die beiden vorgestellten Modelle nicht zu den Top 5 der "Holy Grails of Spyderco" zählen würden.
    Entgegen den üblichen Gepflogenheiten von Spyderco kamen sie auch damals schon nicht in einer Box, sondern in der noch heute vertriebenen Spyderco-Pouch; hier ein Bild des Lieferumfangs mit dem 1994-er Katalog:



    Beginnen wir mit dem
    C22 Klötzli Walker

    In den Jahren 1994 bis 1999 im Programm hatte das C22 schon damals eine recht ambitionierte Preisgestaltung; der Startpreis von 299,95$ in 1994 steigerte sich auf 455,95$ im Jahre 1999.
    Das lag auch an dem verbauten Griffmaterial und dem Herstellungstandort, die Schweiz war halt schon damals ein Hochlohnland.
    Kohlefaser war damals bei Messerherstellern so ungebräuchlich, dass H.P. Klötzli seine persönlichen Kontakte zum damaligen Sauber Formel-1 Team spielen lassen musste, um ein wenig Material für die Griffe abzuzwacken.



    Die technischen Daten des C22:
    Klingenlänge: 6,5 cm
    Stahl: ATS-34
    Klingenstärke: 2,5 mm
    Grifflänge: 9,1 cm
    Länge offen: 15,6 cm
    Gewicht: 51 g

    Gebaut wurden in den Jahren knapp über 1100 Exemplare, lustigerweise wurden aber schon Seriennummern oberhalb der 1500 gesichtet; alle Klötzli Walkers waren übrigens nummeriert.



    Vom C22 gibt es diverse Varianten:
    Prinzipiell waren nur die ersten Messer mit einem Carbonfiber im glossy-finish; dabei gab es so viel Ausschuß, dass ab Mitte des Produktionszeitraums auf CF in matt umgestellt wurde.
    Und dann gibt es das Messer mit "Klötzli"-Schriftzug und auch mit "Spyderco"-Schriftzug, mal ist die Schrift auf dem Clip normal und mal verkehrherum aufgeprägt.
    Also, der Varianten waren es so viele, dass es im Sypderco Forum dafür sein eigenes "Klötzli Genome-Projekt" gibt.



    Alle Schrauben und die einseitige Platine waren aus blau anodisiertem Titan und wurden nur für dieses Messer gefertigt.
    Um die Klingenachse einzustellen bedarf es allerdings eines Vierkants, also völlig ungewöhnlich.



    Und nun zu meinem absoluten Liebling, dem
    C27 Jess Horn

    Im Programm von 1994 bis 1998 war es ein damaliges Vorzeigeprojekt von Spyderco, das in einem Serienmesser die Qualität der Customs von Jess Horn widerspiegeln sollte.
    Dabei sind die Herstellungspreise aber dermassen aus dem Ruder gelaufen, dass Spyderco schon in 1994 für das Messer 349,95$ aufrufen musste, um die Kosten zu decken.
    Damit war es inflationsbereinigt bis ins Jahr 2014 das teuerste Spydero, dann wurde es erstmals vom Chaparral 3 mit 564,95$ übertroffen; berücksichtigt man die Inflation hätte das C27 zu diesem Zeitpunkt knapp 550$ gekostet.



    Die technischen Daten des C27:
    Klingenlänge: 6,6 cm
    Stahl: ATS-34
    Klingenstärke: 2,2 mm
    Grifflänge: 7,7 cm
    Länge offen: 15,3 cm
    Gewicht: 63 g

    Gemacht wurde das C27 von Moki noch unter der Ägide des Firmengründers, der nun leider mittlerweise verstorben ist.
    Hergestellt wurde ein kompletter Run mit knapp 1200 Exemplaren; alle konnten allerdings nicht alle unter dem Spyderco-Logo verkauft werden, dies waren in Summe 500 in plain-Edge und knapp 470 in serrated-Edge.
    Der Rest wurde von Moki selbst unter der Modellnummer MK-001 vertrieben, Bilder gibt es hier:
    Link
    Genau wie vom C22 gibt es auch vom C27 verschiedene Varianten; mit und ohne Horn-Schriftzug, mit und ohne Serienummer, dazu wurden für den Collectors Club die Nummern noch auf des linke Bolster graviert.
    Hier die gängigste Variante; aah, ich vergasss zu erwähnen, dass das C27 das einzige Klappmesser von Sypderco ohne Loch ist...



    Am C27 Jess Horn sieht man ganz viel Liebe zum Detail, selbst die Feder des Lockbacks ist von innen poliert und der Clip wurde nur für dieses Modell aus dem ganzen Stück gefräst.



    Wie eigentlich alle Lockbacks, die von Moki für Spyderco gemacht wurden, gibt es hier auch keine Gleitscheiben, Washer oder ähnliches.
    Stattdessen werden in Handarbeit die Klingenwurzel und die Platinen so poliert, dass die Klinge auch so butterweich läuft.
    Etwas, auf das Sal Glesser selbst sehr stolz ist, da es nicht mehr viele Hersteller gibt, die sich auf so etwas verstehen.
    Und wieviele Käufer eines Caly 3 oder Caly 3.5 mussten schon erstaunt feststellen, dass es dort keine Washer o.ä. gibt...

    Probeweise hat Moki auch mal für Spyderco mit dem ersten Produktionslauf des C42 Viele mit dem AUS-8 einen Linerlock ohne Gleitscheiben gemacht.
    Dies kam aber nocht so gut raus, so dass für den zweiten Run des C42 mit dem VG-10 auf konventionelle Washer umgestellt wurde.

    Zum Abschluß noch ein Blick auf die Details, selbst die Röhre für ein Lanyard wurde elegant angefast.



    - Marcus -

    2 Mal editiert, zuletzt von hephaistos (16. November 2015 um 17:46) aus folgendem Grund: Typos korrigiert.

  • Und so möchte ich heute mein persönliches Spyderco-Schatzkästlein mal wieder öffnen und euch zwei Modelle aus dem Jahr 1994 vorstellen.

    Herzlichen Dank, dass du uns deine Schätze hier zeigst. Es ist schon beeindruckend zu sehen, mit wievielen Inovationen auch damals diese Messer schon ausgestattet waren.
    Besonders das C27 Jess Horn finde ich super gelungen.
    Tolle Bilder und ein sagenhafter Bericht.

    Beste Grüße

    Die Hand voller Asse
    .......aber das Leben spielt Schach.

  • Hallo Marcus,
    Vielen Dank für die Vorstellung der beiden superinteressanten Messer!
    Unglaublich, welche schönen Details die beiden Folder aufweisen: besonders gut gefällt mir die kreative Befestigung der Feder im C22 und die washer-free Lagerung der Klinge im C27!

    Kannst Du noch sagen aus welchem Material die Platinen im C27 gemacht wurden?

    Tolle Vorstellung von klasse Messer!
    Beste Grüße,
    Rainer

    Blaupfeil - the sky is the limit..

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  • Kannst Du noch sagen aus welchem Material die Platinen im C27 gemacht wurden?

    Hallo Rainer,

    die Platinen sind aus hochglanzpoliertem Stahl.
    Könnte mich auch gar nicht erinnern, das Moki jemals was mit Titan o.ä. gemacht hätte.
    Ist halt ein richtige old-school Firma mit ganz viel Handarbeit.
    Kurz nach dem Firmengründer starb übrigens vor drei Jahren sein Sohn unter tragischen Umständen, so dass das Unternehmen nun in dritter Generation vom Enkel geführt wird.

    Marcus

  • Noch eine kleine Ergänzung meinerseits zum spydercotypischen Öffnungsloch, passt hier ganz gut eben weil das C27 als einziges Spyderco-Klappmesser keins hat.
    Darüber hört man immer mal die unterschiedlichsten Gerüchte wie "Spyderco hat ein Patent aus das Loch" oder "Quatsch, ein Loch kann man nicht patentieren".

    Es ist so:
    Ja, Spyderco hatte ein Patent aus dem Jahre 1981.
    Dies umfasste aber ein komplettes Konzept eines Klapptaschenmessers, u.a. mit einem Clip und der Möglichkeit des einhändigen Öffnens.
    Diese Öffnungsmöglichkeit wird im Patent aber nur neutral Vertiefung ("Depression") genannt und umfasste daher sowohl ein Loch als die Lösung beim Jess Horn.
    Dieses Patent ist 2001 ausgelaufen, seitdem ist aber das Spyderco-Loch als Trademark eingetragen.
    Der alte Patenttext kann noch hier eingesehen werden: US Patent 4.347.665

  • Hallo Marcus,

    Man kommt total gestresst von der Arbeit und versucht, auf andere Gedanken zu kommen und sieht dann, so einen wirklich sehr interessanten und gut geschrieben Bericht.
    Kaum hat man ihn verschlungen, ist man ein wenig entspannter und man kann sich wieder, seinem Hobby widmen, danke!

    Letztes mal hatte ich schon gelernt, das Sypderco auch mal in Deutschland Messer anfertigen liess und jetzt kommt zu meiner Überraschung, auch noch die Schweiz hinzu.
    Sehr interessant finde ich auch die Hintergrundinformationen über die verschiedenen Produktänderungen, während der Herstellung.

    Das C22 Klötzli Walker sagt mir sehr zu und der ATS 34 zählt zu meinen Lieblingsstählen.
    Die Carbon Griffschalen im Zusammenspiel mit den Schrauben, wirklich Respekt.
    Zu den Schrauben habe ich noch eine Frage, wurde hier ein Schlüssel mitgeliefert?

    Grüße Frank
    Ich kann jetzt auch nur vermuten, was ich damit meine ....

  • Danke, Marcus!
    Ich finde das Konzept faszinierend - je länger ich mir die Bilder ansehe, desto mehr Details fallen mir auf.
    Noch eine Frage zum C22: das ist ja von beiden Seiten verschraubt - sitzen die Schrauben in Hülsen oder sind die direkt in den Spacer eingesetzt?
    Beste Grüße,
    Rainer

    Blaupfeil - the sky is the limit..

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  • Hallo Frank, hallo Rainer,

    ich war ein paar Tage unterwegs, deshalb meine Antwort erst jetzt.

    Für die Schrauben wurden keine Hülsen eingesetzt, diese sind direkt im Spacer/Liner verschraubt.
    Ein Schlüssel für die Schrauben war damals nicht im Lieferumfang, bei einer Komplettdemontage verfällt ja sowieso die Spyderco-Werksgarantie.
    Aber stimmt, für das Einstellen der Klingenachsschraube hätten sie schon einen beilegen können.

    Viele Grüße,
    Marcus

  • Danke, Marcus!
    Ich kann Deine Freude mit den Spydercos extrem gut verstehen - ein Delica war einst mein erstes gescheites Klappmesser und ist trotz Wellenschliff noch immer in Verwendung...
    Ich denke ich werde mal was mit einem Spyderco-Hole® bauen als Reminiszenz an diese fantastische Marke.
    Beste Grüße,
    Rainer

    Blaupfeil - the sky is the limit..

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