Meine Erfahrungen mit dem Ryo-H, ein kleines Review

  • So, nun hab ich das Ryo einige Zeit ausgiebig getestet und möchte meine Eindrücke mit euch teilen. Vorab sei gesagt, dass ich das Messer, trotz des absurd hohen Preises, ganz normal als EDC nutze und ich mir wenig Gedanken um Kratzer oder Fingerabdrücke mache. Das Review spiegelt auch nur meine persönliche Meinung wieder und ich werde kein Preis-Leistungs-Vergleich anstellen.

    Was mir sofort beim Auspacken auffiel, war das stattliche Gewicht des Messers mit über 120 g und die fantastische Handlage. Die Verarbeitung ist perfekt, da gibt es äußerlich keinen Makel. Auseinandergebaut hab ich es jedoch bis jetzt noch nicht. Der Klingengang ist weich und definiert. Der Detent rastet satt mit einem Klicken ein. Die Klinge fällt nach dem entriegeln nicht ins Heft, sondern muss manuell geschlossen werden. Das die Klinge keinerlei Spiel hat, brauch ich wohl nicht zu erwähnen. Der Button-Lock funktioniert tadellos, jedoch ist die Feder ein klein wenig hakig und man spürt diese. Die Daumenpins ich entfernt; das geht wirklich spielendleicht. Das so entstandene Loch habe ich mit einem Stift aus Carbon geschlossen, gefällt mir so einfach besser. Das Spaltmaß der Klinge im Heft ist minimal, es passt gerade so eine Visitenkarte dazwischen.

    Der neuartige Klipp gefällt mir sehr gut. Das Messer kann sicher und fest in der Hosentasche befestigt werden. Die Spannung ist weder zu fest, noch zu locker. Durch die Versenkungsmöglichkeit stört der Klipp auch bei längeren Arbeiten nicht. Die Mechanik des Klipps ist so einfach wie genial. Zusätzlich besteht die Möglichkeit ein Lenyard anzubringen.

    Natürlich hat auch dieses Messer einige Punkte, die mir nicht so gut gefallen. Als erstes ist da die Sichtbarkeit der Klingenwurzel im geschlossenen Zustand zu nennen. Für mein Empfinden stört das die sehr harmonische Linienführung, der Übergang zwischen Heft und Klingenrücken ist doch sehr unschön unterbrochen. Das war auch der Grund, warum ich nicht sofort dieses Messer gekauft hatte. Für mich ist es vollkommen unverständlich, warum man so ein Messer konstruiert. Es sollte gar kein Problem sein, einen fließenden Übergang zu realisieren.

    Ein weiterer Kritikpunkt ist der Klingenstahl. Der ZPD-189 ist in meinen Augen ein Yuppie-Stahl, ein sauhartes Carbidmonster, der geradezu nach Ausbrüchen schreit. Der DLC-beschichtete YXR-7 wäre für mich die bessere Wahl gewesen. Da kommen wir auch schon zum nächsten Punkt, die Klingengeometrie. Ich verstehe nicht, warum man einen balligen Anschliff für einen Stahl verwendet, der nur für Zug-und Druckschnitte zu verwenden ist. Das Mehr an Stabilität ist bei diesem Stahl völliger Quatsch, da die kritische Stelle die sehr fein ausgeschliffe Fase ist und die wird vor allem durch die Carbide, bzw. deren Größe limitiert. Die aufwendigere Geometrie treibt nur den Preis unnötig in die Höhe. Bei YXR-7 würde diese Geometrie deutlich mehr Sinn machen. Der ballige Anschliff hat auch zur Folge, dass die Schneidleistung herabgesetzt ist. Ganz deutlich fällt das beim Apfeldurchteilen auf; es ähnelt eher einem Spalten als einem Schneiden.

    Geliefert wurde das Messer mit einer sehr schlecht zu definierenden Schärfe. Das Messer war nicht stumpf, aber auch nicht brutal scharf, bzw. die Schneidleistung war unbefriedigend. Es rasierte nur sehr schlecht und ging auch nur sehr widerwillig durch sehr dünnes Papier. Daher habe ich es eigenhändig nachgeschärft. Rockstead hatte zwar angeboten, das Messer neu zu schärfen, aber ich finde es mehr als albern, das Messer um die halbe Welt zu schicken, nur um es nachschärfen zu lassen. Ein Messer das man nicht selber nachschärfen kann ist was für die Vitrine oder dem Schrotthändler. Das Nachschärfen ist bei den Rockies auch keine große Sache und ging fix, mit dem Resultat, dass es jetzt die passende Schärfe hat. Ich kann es eigentlich nicht verstehen, warum sich nur wenige daran trauen, wenn man ein wenig Übung im Freihandschärfen hat, ist es kinderleicht. Die Härte des Stahls spielt auch keine Rolle, da das SiC des Schleifpapiers um viele Größenordnungen härter ist, alles der dazu im Vergleich butterweiche Stahl.

    Vielleicht klingt das Ganze jetzt sehr zerreißend und vernichtend, aber ich wollte das Messer sehr kritisch beurteilen, da man bei dem Preis absolute Perfektion erwarten darf, daher ist das Kritisieren auf sehr hohem Niveau. In meinen Augen ist das Messer ein Traum mit einigen Ecken und Kanten , mit denen ich sehr gut leben kann. Noch nie habe ich eine solche perfekte und präzise Verarbeitung bei einem Messer gesehen. Die Formgebung im offenen und geschlossenen Zustand (von der hässlichen Klingenwurzel mal abgesehen) ist ein Augenschmeichler. Die Klingenform ist ungewöhnlich, aber sehr alltagstauglich und ich finde sie optisch hervorragend. Auch wenn mich einige Freunde und Kollegen schon mitleidig angeschaut haben und wissen wollten, wie ich die Spitze abbrechen konnte.

  • Klasse Review - sehr detailliert und nah am Messer. Danke dafür!


    Für mich ist es vollkommen unverständlich, warum man so ein Messer konstruiert. Es sollte gar kein Problem sein, einen fließenden Übergang zu realisieren.

    Das habe ich mich auch bei den william henry knives schon lange gefragt. Vielleicht um ein sehr gutes Klinge/Griffverhältnis zu erreichen?
    Darüber können die Profis wohl mehr Infos geben.

  • Vielleicht um ein sehr gutes Klinge/Griffverhältnis zu erreichen?

    Darüber können die Profis wohl mehr Infos geben.

    Das kann es eigentlich auch nicht sein, man müsste den Klingenrücken ja eigentlich nur um ein paar Millimeter verlängern und den Anschlag dementsprechend versetzen, dass würde das Klingen-Griff-Verhältnis nicht verändern. Wobei beim Ryo das Klingen-Griff-Verhältnis auch nicht ausgereizt wurde.

  • Schönes Review!!!

    Ich finde, wenn man so ein Teil kauft, sollte man es in gänze beurteilen und nicht nur die Schokoladenseiten betonen.
    Sehr gut gelungen!
    Auch der Pragmatismus das Ding selber zu schärfen, statt es durch die Gegend zu schicken, ist heute nicht so weit verbreitet und zeugt von Sachkenntnis und Objektivität.

    Sehr schön!

    Viele Grüße, Andreas!

  • Hallo summicron,
    danke für diesen sehr schönen Erfahrungsbericht, der auch sehr gelungen bebildert ist :)
    Das mit dem Clip ist schon eine geniale Lösung, ich kenne es ja auch live.
    Zu dem Thema mit der Sichtbarkeit der Klingenwurzel im geschlossenen hatte, ich letztes und dieses Jahr schon auf der IWA mit dem Desingner gesprochen.
    Er erklärte mir, dass sie immer versuchen die maximal Klingenlänge zu erreichen. Ich konnte dieser Argumentation nicht folgen, aber schön zu lesen, das dieses auch andere stört :)

    Grüße Frank
    Ich kann jetzt auch nur vermuten, was ich damit meine ....

  • Hey Nordwind,

    irgendwie ist das für mich auch nicht ganz logisch. Man verändert ja an dem Klingen-Griff-Verhaltnis nichts, wenn man bei der Herstellung an der Klingenwurzel 5 mm mehr Material stehen lässt und den Anschlag dementsprechend nach hinten versetzt, die Schneiden-und die Grifflänge bleibt ja exakt gleich. Beim Ryo kommt dagegen noch hinzu, dass im Heft noch viel Luft für mehr Klinge vorhanden wäre, dass kann der gute Chris Reeve besser.

  • Danke für das Review, habe mich schon oft gefragt, ob diese Messer ihr Geld wirklich wert sind. Hatte auch schon welche in der Hand (Messen in Solingen) und klar, die Leistungen der Klingen in den Videos sind beeindruckend, aber dein Review bestätigt mich mal wieder in meiner Grundhaltung, dass alle letztlich doch nur mit Wasser kochen.

    Fall down seven times, stand up eight.

    Carve a little wood, pull a few strings and sometimes magic happens.

  • Hallo summicron,

    ein schöner Erfahrungsbericht - vielen Dank. Klar, dass mich das besonders freut und ich hoffe hier noch viel mehr davon lesen zu können.
    Wann immer ich ein ROCKSTEAD ohne den Pin sehe, bin ich überrascht, dass es mir immer noch gefällt. Vor allem beim HIGO-JH finde ich das großartig.
    Der ZDP-189 passt aus meiner Sicht perfekt zum RYO, welches ROCKSTEAD zu den Gentleman-Messern zählt. Auch beim SHU-C(B) hat sich ROCKSTEAD so entschieden. Als Gegenbeispiel dient mir immer das HIGO-MH. Das gibt (bzw. gab) es nur mit dem YXR-7.
    Oft werde ich von Kunden oder Interessenten gefragt, welchen Stahl ich empfehle. Ich selbst schätze den den YXR-7 sehr und nutze ihn bei meinen EDC. Doch würde ich den ZDP-189 im HIZEN, HIGO-JH, SHU und RYO gegen keinen anderen Stahl tauschen.
    Deinen Wunsch nach einem RYO mit dem YXR-7 werde ich auf jeden Fall weitergeben.

    Beste Grüße
    Steinfeld

  • Moin Steinfeld,

    welche Vorteile siehst du denn beim ZDP?

    Hallo summicron,

    Vorteile? Im Vergleich wozu (?) oder genauer: Im Vergleich zu welchem anderen Stahl?
    Hitachi hat den ZDP-189 ganz speziell als Stahl für Messerklingen entwickelt. Ziel war es, Schärfe, Schnitthaltigkeit und Rostträgheit zu gewährleisten.
    Da sage ich doch mal: Ziel erreicht!!! (Sachgemäße Anwendung und richtige Pflege vorausgesetzt.)

    Beste Grüße
    Steinfeld