Hier ein weiteres Review zu einem Rockstead, diesmal ein Higo-J-DLC mit YXR-7 Stahl und der Shinogizukuri-Geometrie. Dieses Messer zu beschreiben fällt mir gar nicht so leicht. Vielleicht wäre es einfacher, wenn ich das Higo immer mal wieder mit dem Sebenza vergleiche. Das Design ist klar, aufgeräumt und ohne viel Schnickschnack; für mein Empfinden perfekt. Extrem Chic finge ich auch die anthrazitfarbene DLC-Beschichtung der Klinge. Die Verarbeitung ist hervorragend und rein subjektiv würde ich sagen, auch besser als ein Reeve. Was mir sofort ins Auge gestochen ist, ist der Ausschnitt des Framelocks, der extrem geringe Spaltmaße aufweist.
Die wahre Qualität zeigt sich aber erst, wenn man das gute Stück seiner Schalen entledigt. Das geht, wie nicht anders zu erwarten, kinderleicht. Die Phosphorbronzewasher sind recht groß und die Klinge läuft in einer Hülse (Bushing). Der Framelock besitzt einen Anschlag aus gehärtetem Stahl, der austauschbar ist. Beim Zusammenbauen zeigen sich dann die Unterschiede zu den Reeves. Beim Higo passt alles sofort, die Washer sitzen fest, verrutschen nicht und die Schalen lassen sich ohne Aufwand anbauen. Beim Sebenza und beim Mnandi muss ich deutlich mehr Arbeit investieren, damit die Washer so sitzen, wie sie sitzen sollen und die Schale ist auch etwas schwieriger anzubauen. Der Grund liegt darin begründet, dass bei den Reeves das Zusammenbauen auf der Schale mit dem Lock geschieht und man somit immer etwas Druck ausüben muss. Beim Higo ist es genau umgekehrt, da erfolgt der Aufbau auf der Lock-freien Seite. Der Klingengang des Higos ist super, aber weder besser noch schlechter als bei Reeve. Die Klingenachse kann man wegen des Bushings natürlich auch fest anziehen, ohne einen Einfluss auf den Klingengang zu haben. Natürlich gibt es auch beim Higo Null Klingenspiel.
Den Klipp finde ich extrem schick, dieses leicht Abgegriffene und die einfache Form haben etwas, ach ja, der Klipp klippt auch.
Die Aluminiumgriffschalen verrichten ihre Arbeit, aber ich finde die Materialwahl bei einem Messer in dieser Preisklasse doch etwas underdressed, Titan mit DLC fände ich schöner. Die geschwungenen Linien auf den Schalen sorgen für eine hervorragende Handlage, einen guten Gripp und verleihen dem Messer eine „japanisch anmutende Optik“. Die Eloxierung zeigt jedoch nach einigem Gebrauch auch deutliche Benutzungsspuren. Auch die Spaltmaße im zusammengeklappten Zustand sind beeindruckend, wie beim Ryo ist auch beim Higo gerade mal Platz für eine Visitenkarte zwischen Klinge und Griff.
Kommen wir nun zu dem Wichtigsten, der Klinge. Die Klingengeometrie ist nichts anderes als ein obszöner Flachschliff, nur dass das bei Rockstead mit Shinogizukuri nach Rocket-Science klingt. Der Stahl ist ein Kohlenstoffstahl der bei meinem Messer auf 65 HRc gehärtet ist (stimmt auch, ich habe es nachgemessen ;-)). Da ich das Messer gebraucht erworben hatte, war die Schärfe ausbaufähig, daher habe ich das gute Stück auf 30 ° auf dem Edge Pro Apex (made in China) nachbearbeitet. Die Härte stellt gar kein Problem dar und die Klingengeometrie auch nicht, die Gerüchte, dass man ein Rockstead selber nicht nachschärfen kann, gehören in den Bereich der Mythen, man sollte jedoch ein bisschen wissen was man tut. Nebenbei gesagt, es ist auch ein Mythos, dass man ein Reeve nicht Flippen darf, Reeve mag es nur nicht, dass man das aus dem Handgelenk macht und man verliert dadurch auch nicht die Garantie, nur den Stopppin muss man dann halt selber zahlen. So, jetzt wieder zum eigentlichen Thema. Das Resultat des Schärfen war beängstigend, beim Rasiertest läuft mir immer wieder der Schweiß von der Stirn, da ich Angst habe, mich zufiletieren. Die Schärfe wird auch extrem lange, auch bei harter Beanspruchung, gehalten. Ich habe in Massen Kartons geschnitten und auch auf Holz herumgekloppt, die Schärfe war zwar etwas zurückgegangen, aber das Messer war immer noch rattenscharf. Unter dem Mikroskop konnte ich keine Mikroausbrüche erkennen (anderes als beim Ryo mit dem ZDP). Der Stahl ist in meinen Augen das Beste, was man einem Messer antun kann. Der YXR-7 brilliert in fast allen Bereichen, bis auf die Korrosionsanfälligkeit, aber das stellt eigentlich gar kein Problem dar. Bis vor wenigen Jahrzenten gab es gar keine hochlegierten Stähle und man ist mit seinem Schwert auch über das Meer getingelt ohne anschließen nur Eisenoxid in der Scheide gehabt zu haben, ist alles eine Frage der Pflege. Aber ich will nicht verschweigen, dass mein Higo auch fast dem Laster der Oxidation verfallen wäre. Schuld war ein leckerer Paprika-Chili-Brotaufstrich, sogar in Bio!!! Ein paar Minuten zu lange auf der Klinge belassen und schon hatte die Klinge leichte Verfärbungen. Ich habe sie aber einigermaßen herauspolieren können. Der Flachschliff erweist sich auch als extrem schneidfreudig, egal ob bei der Futterzubereitung oder bei den allgemeinen Schneidtätigkeiten. Die Größe des Messers ist perfekt für die meisten Schneidaufgaben, aber ich bevorzuge kleinere Messer als EDC. Apropos, demnächst kommt ein weiteres Rockstead-Review, mit Higos kleinem Bruder, ihr könnt euch schon mal freuen ;-). Wenn ich weiß, dass ich ein Messer benötigen werde, dann ist das Higo meine erste Wahl, viel Klinge, leicht, ziviltauglich und mit einem Klingenstahl, der nahezu alles mitmacht. Bei ziviltauglich fällt mir ein, dass ich grundsätzlich die Pins entferne, auch wenn ein Messer dadurch nicht zwingend 42a-Konform ist. Aber die Wahrscheinlichkeit ist einfach deutlich größer, dass man so mit dem Messer durchkommt. Darüber hinaus finde ich viele Pins unschön, wie bei den Sebenzas. Ich ersetze diese dann häufig durch einen Carbon-Pin. Beim Higo passt der dunkle Pin auch perfekt zur dunklen Klinge.
Wenn man mal den direkten Vergleich zwischen einem Sebenza und einem Higo anstellt, so kann man feststellen, dass beide Messer sehr ähnlich sind. Beide Messer sind ganz fantastisch verarbeitet und vom Design auch sehr ähnlich. Das Sebenza hat das deutlich bessere Klingen-Griff-Verhältnis, beim Higo ist da noch einiges an Platz im Heft. Was die Klingengeometrie anbelangt, so finde ich den Flachschliff etwas vielseitiger, da dieser deutlich mehr wegstecken kann als der Hohlschliff des Sebenzas. Auch der Carbonstahl des Higos hat die bessere Performance. Wobei man der Fairnesshalber eigentlich den ZDP mit dem S35VN vergleichen müsste. Die Schneidleistung ist beim Higo-J etwas größer, was vor allem durch diese abartige Schärfe und der sehr guten Schnitthaltigkeit hervorgerufen wird. Die Frage, die ja immer wieder aufkommt, ob der satte Preisunterschied zwischen Reeve und Rockstead gerechtfertigt ist, kann und will ich nicht beantworten. Die Sebenzas, Mnandis und die anderen Reeves sind ganz hervorragende Messer, die wirklich jeden Cent wert sind (in meinen Augen wahre Preis-Leistungs-Schnäppchen, verglichen mit anderen Wettbewerbern). Die Rocksteads spielen in einer anderen Liga, wo die Detail und das Handwerk das Mehr auf dem Kassenbon generiert, nicht das Mehr an Leistung.