Das Güde Taschenmesser (X725/07) - trotz Ecken und Kanten eine runde Sache

  • Moin allerseits,

    Sonne, lange Spaziergänge durch Weinberge, ein ausgedehntes Picknick und dafür ein gutes Taschenmesser. Wer jetzt vor seinem geistigen Auge mit Laguiole einen Brie zerteilt und sich in Frankreich wähnt, den kann ich voll und ganz verstehen... Aber was, wenn sich die Weinberge rechts und links entlang der Mosel ziehen und es um ein einheimisches Genießer-Messer gehen soll? Mein liebstes Messer für diesen Zweck ist das Güde-Taschenmesser... Moment... Güde?! Machen die nicht nur feststehende Kochmesser? Jein! Tatsächlich dürfte Güde praktisch ausschließlich für seine Kochmesser bekannt sein, dennoch hat das Solinger Familienunternehmen (derzeit unter der Leitung von Herrn Dr. Born, dem Urenkel des Firmengründers Karl Güde) zwei Taschenmesser im Angebot. Zwei Dreiteilige um genau zu sein: Eins mit großer Klinge, Kapselheber und Korkenzieher und eins mit großer Klinge, Korkenzieher und Pitchgabel. Um letzteres soll es in diesem Review gehen.

    Daten

    Ich bin gerade urläubig und habe weder Zentimetermaß noch Waage zur Hand, weshalb ich mir erlaube, die genauen Daten später nachzutragen. Soviel vorab: Die Klinge ist länger und etwas schmaler als bei einem Victorinox - genau aus dem Grund mag ich das Güde sehr viel lieber.

    Funktionen

    Das dreiteilige Messer hat vier Funktionen:
    Eine große Klinge, die hervorragend spiegelpoliert ist (die Fotos täuschen etwas, weil ich unmittelbar vorher eine herrliche Wildschweinsalami geschnitten hatte 0:) ).
    Des weiteren gibt's einen Korkenzieher, der für einen Mosel-Urlaub nicht wegzudenken ist.
    Und zu guter Letzt die Pitchgabel Schrägstrich Kapselheber, denn Weinregion hin oder her, nach anstrengendem Aufstieg ist ein kühles Bier zuweilen verlockender selbst als der beste Riesling ;)
    Und nun nochmal zurück, zur... wie hieß die Picknick-Gabel noch gleich? Pitchgabel??? Ganz genau: Streng genommen handelt es sich bei dem gabelähnlichen Zweizack nicht um eine Picknick- oder Camping-Gabel, sondern ist als Pitchgabel für den Golfer konzipiert. Der nämlich ist verpflichtet, auf dem Grün durch hohe Bälle verursachte Dellen auszubessern und hier kommt die Pitchgabel zum Einsatz. Rund um die Delle im Rasen wird eingestochen, gelockert und leicht aufgehebelt, um dann mit einem schweren Eisen wieder plan zu drücken.
    Schöne Sache das, aber erfreulicherweise funktioniert die Pitchgabel ebenso als Picknick-Gabel ;) Man muss also kein Golfer sein, um den vollen Funktionsumfang des Taschenmessers zu nutzen!

    Verarbeitung

    Das Messer kommt in gewohnter Solinger Qualität. Heißt so viel wie: Das Messer ist in meinen Augen wirklich gut gemacht, aber es hat seine kleinen Makel, in Bezug auf die jeder selbst entscheiden muss, ob man es liebevoll unter 'ist halt echte Handarbeit' verbucht oder in der Preisklasse nicht für tragbar hält. Ich mag den Handarbeitscharakter, solange es sich auf optische Problemchen bezieht, die die Funktion nicht beeinträchtigen.
    Grundsätzlich ist mein Exemplar gut gearbeitet: Klinge und Pitchgabel liegen äußerst sauber und mittig im Schacht, Griffschschalen sind sauber eingepasst, Die Federspannung ist eher leicht und mit einem SAK zu vergleichen. Die Politur von Klinge und Pitchgabel ist gut und der Kontrast zu den quer-strichmattierten Rückenfedern schön. Die Alu-Medaille mit den drei Palmen ist tippitoppi eingepasst. Weder Klinge noch die anderen Werkzeuge haben in geöffnetem Zustand Klingenspiel. Es ist ein grundsolide verarbeitetes Messer.
    Dennoch zeugt vieles bei genauerem Hinsehen vom Charakter des Arbeitsmessers: Im Nagelhau und den Bögen der Pitchgabel finden sich Schleifrückstände. Die Spitze der einen Forke der Pitchgabel ist zugespitzt, während die andere unter der Lupe eine plane Fläche hat - fast wie abgebrochen. Die Klinge hat aufgeklappt einen leichten Schiefstand und obwohl die Klinge 'out of the box' scharf war, war der Schliff nicht wirklich sauber (aber um fait zu bleiben: hier bin ich vielleicht einfach zu penibel).
    Kurzum: Sehr vieles sagt hier sehr deutlich 'Handarbeit' - und das muss man mögen. Ich mag es und komme damit klar, weil nichts die Funktion beeinträchtigt. Ich verstehe es als Messer, das wirklich benutzt werden will.

    Preis

    Die Güde Taschenmesser gibt's in Olivenholz- oder Fasseichengriff und mein Modell kostet 104,- €.

    Besonderheiten und Details

    Die erste Besonderheit ist, dass es sich streng genommen nur um ein halbes Güde handelt. Hergestellt wird das Taschenmesser nämlich in Handarbeit von Hartkopf in Solingen. Allerdings geht die Idee der Pitchgabel zurück auf eine Idee von Güde, insofern ist das Güde mit Pitchgabel mehr Güde als das andere Güde Taschenmesser ;)
    Zweite Besonderheit: der Korkenzieher. Während bei SAKs und Laguioles die Korkenzieherspitze nach innen zeigt, also in der Griffaussparung liegt, zeigt die 'Spitze' beim Güde nach außen. Klingt gefährlich fürs Hosentaschenfutter, ist es aber nicht. Warum? Weil die Korkenzieherspitze beim Güde nicht richtig spitz ist. Aber bekommt man das Ding dann überhaupt in den Korken gefriemelt? Ja (habe auch zwei Beweisfotos ;) ), aber es geht schwerer als bei Laguiole oder SAK.
    Aber jetzt mal im Ernst: Bei jedem SAK ist die Verarbeitung perfekter, der Schliff 'out of the box' rasiermesserscharf und Details wie der Korkenzieher besser durchdacht. Warum ziehe ich dennoch das Güde einem SAK vor? Es ist weniger technisch: Durch die Neusilberbacken, Messingplatinen und das wunderbare Holz wirkt das Güde herrlich warm und fühlt sich sehr viel angenehmer an.
    Außerdem mag ich den Charme des Handgemachten. Ja, das Güde Taschenmesser hat seine Ecken und Kanten und wäre in perfekter Verarbeitung denkbar. Aber so ist es mir lieber. Viel wichtiger aber ist die Klinge: Dadurch, dass sie länger und schmaler ist als die eines Offiziersmessers, finde ich sie für Lebensmittel praktischer. Ich kann mit dem Güde beim Picknick besser hantieren und es im Urlaub zur Not auch als Küchenmesser nutzen.
    Das ginge allerdings auch mit einem Laguiole; Holzgriff und Messingbacken für die warme und betont nicht technische Optik gäb's da auch.
    Also warum das Güde? Wegen der Klinge: Eine Laguiole-Klinge ist super und für Lebensmittel bestimmt. Aber für mich liegt die Stärke dieser Klingenform eher in der (Urlaubs-)Küche. Die Güde-Klingenform ist schlicht sehr viel vielfältiger einsetzbar, gerade beim Picknick ohne feste Schneidunterlage, weil sie nicht so überspitz zuläuft.
    Der zweite Grund ist die Pitchgabel: Ein gutes Picknick besteht für mich nicht nur in Brot, Wurst, Käse, Obst und einem unkomplizierten Rosé. Richtig lecker wird der Schmaus meist erst durch die Sachen, die etwas schwierig handlebar sind... bspw. Oliven in Walnuss-Knoblauch-Öl. Aber vor allem braucht es für ein richtig gutes Picknick noch eine Handvoll Freunde, mit denen man teilt - vorzugsweise ohne, dass alle mit ihren Fingern in die Oliven müssen (oder das Gurkenglas oder, oder, oder...).
    Sicherlich, das ginge alles auch anders, aber wofür, wenn's auch mit einem Messer geht ;)

    Mein Fazit: Man bekommt ein grundsolides handgemachtes Messer, das hervorragend in der Hand liegt und dessen Klinge vielfältig einsetzbar ist. Die Materialien versprechen hervorragend zu altern und mit der Pitchgabel ist es gewiss kein alltägliches Messer.
    Mir bereitet es große Freude :)

    Grüße in die Runde,

    Armin

  • Hallo Armin,

    Du hast es wieder aufs Allerfeinste verstanden, mit Stil, schönen Bildern und fundierter technischer Beschreibung
    dem geneigten Leser ein Messer näher zu bringen.
    Man kann sich langsam ein Bild Deiner Sammlung machen, welche sehr ausgewogen ist und immer einen genieserischen Hintergrund
    besitzt. Das macht Deine Messer lebendig und den Sammlungsinhalt absolut nachvollziebar.

    Ich wünsche Dir weiter gute Erholung im Urlaub und weiter viel Spaß mit Deinem Güde.

  • Tolles Review über einen alltäglichen Begleiter... schön geschrieben und klasse Fotos! macht Appetit auf nen Schoppen Riesling und ein paar Vesperkleinigkeiten!
    Das Güde Messer kannte ich bis jetzt noch nicht!
    Danke fürs Vorstellen

    Gruß Gerd

    ... und immer einen ungeschälten Apfel in der Tasche! :thumbup:

  • Liebe Alle, vielen Dank für die Blumen. Freut mich sehr, dass es Euch gefällt. Ich profitiere nämlich immer sehr von Euren Vorstellungen mit eigenen Bildern, weil man da meist einen ganz eigenen Eindruck bekommt - und häufig einen anderen als durch die Produktkatalogbilder des Herstellers vermitteln.

    @ 'stilzkin'
    Erwischt... meine Sammlung ist ziemlich durchschaubar... aaaaaber mit etwas Glück hält sie noch die ein oder andere Überraschung bereit :D
    Es bleibt spannend 8)

  • Und hier die Daten:
    Gewicht: 97 gr.
    Länge geschlossen: 9,8 cm.
    Länge offen: 17,2 cm.
    Klingenlänge: 7,4 cm, davon 6,8 Schneide.

    Und weils so hübsch anzuschauen ist, noch ein paar Bilder O:)

  • Hallo Fluegelfeder,
    danke den Super Bericht. Hervorragend dargestellt, alles berücksichtigt, ein absoluter Entscheidungsfinder wenn man(n) ein Messer in dieser Kategorie sucht.
    Einzig, auf der "Güde-" Seite werde ich nicht fündig (725 wird nicht angeboten sondern nur 715) und in den anderen Anbieterseiten ist (meines Erachtens nach) der Korkenzieher "richtig" gedreht, nach Innen und Scharf. Auch die "Gabel" sieht da im Angebot "symetrisch" aus.
    Ist das jetzt nur Dein Messer in dem Auslieferungszustand oder ist das "Standard"?
    Walter

    (ich bin gerade dabei ein Taschenmesser mit Gebrauchswert und Historie als Geschenk zu finden)

    ...bleiben sie ruhig, ich hole Hilfe...

  • Moin,

    der Reihe nach:

    Wenn ich es auf der Güde-Seite richtig sehe, gibt's unter der Alpha Serie zwei Taschenmesser: Das X715/07 (Kapselheber/Schraubenzieher) und das X725/07 (Kapselheber Pitchgabel).
    Die Baugleichen Messer in Fasseichenbeschalung heißen dann E715/07 bzw. E725/07.

    Die weitaus spannendere Frage ist allerdings die nach den Windungen des Korkenziehers ;) Die Produktbilder zeigen eigentlich ausnahmslos eine halbe Windung mehr, so dass die Spitze nach innen zeigt. Allerdings sind Sollen und Sein in der Realität oft zwei Paar Schuh, wie mir scheint: In Geschäften konnte ich bei bisher beides finden (das Güde-Modell ist mir erst in zwei Geschäften begegnet, Hartkopf etwas häufiger). Insofern kann man entweder sagen, 'soll so, ist aber so' oder man räumt dem Handwerker da in Bezug auf die Windungen großzügig einen gewissen Spielraum ein. Und solange der Korkenzieher funktioniert - meiner tut bestens, was er soll - ist's für mich kein Mangel. Optisch allerdings stößt sich das Auge da womöglich schon dran.

    Grüße in die Runde,

    Armin