Wärmebehandlung C100 (1.1274 / Federstahl)

  • Hallo liebe Community,
    ich baue gerade an einem Messer aus C100 (1.1274) und mache demnächst die Wärmebehandlung.
    Haltet ihr meinen folgenden Plan für praktikabel?

    Normalisierung:
    800 Grad (oder lieber 820 Grad?) bei einer Haltezeit von 5 Minuten (Klinge ist 5 mm dick, reicht das??)
    danach an Luft abkühlen und das ganze noch einmal wiederholen (oder lieber 3 Zyklen?)

    Härten:
    800 Grad (oder lieber 820 Grad?) bei einer Haltezeit von 10 Minuten (Klinge ist 5 mm dick, reicht das??)
    Abschrecken in 70 Grad warmen Öl (weil flüssiger als kaltes Öl)

    Anlassen:
    2 x 1 Stunde im Backofen bei 200 Grad; dazwischen mit kaltem Wasser abschrecken; am Schluss an der Luft abkühlen lassen (oder auch abschrecken?)

    Ich habe gehört, dass die Schneide besser wird, wenn man mehr Temperatur beim Anlassen nimmt, sogar 250 Grad. Mit welcher Härte (Rockwell) kann ich dann noch rechnen?

    LG Michael

  • Mein erster Rat ist: Hol Dir den Stahlschlüssel(Taschenbuchausgabe)!...da steht alles über die Parameter von Kaltarbeitsstählen drin.....paar€fuffzig.

    Der 1.1274 zählt zu den Federstählen und hat Cr und Ni 0,4% und Mo 0,10% .Geringe Mengen an Mo verhindern Anlasssprödigkeit.Das Abschrecken nach dem Anlassen in kaltem Wasser wird durch Mo überflüssig.

    keines der Legierungselemente hat die Eigenschaft Kornwachstum zu verhindern, das heisst unlegierte WStähle und
    solche schwach legierten wie der Ck101 haben praktisch eine Anlaufzeit bis das Werkstück auf gewünschter Temperatur ist
    ab da beginnt das Kornwachstum :!: Kohlestoff geht schnell in Lösung....also sobald Klinge und Ofen gleichmässige Wärme bzw Farbe haben, sofort abschrecken.

    Normalglühen 800-830 Grad
    Abschrecken 780-810 Grad

    Anlassen für Federn 430-500Grad
    für Messerklingen 180-200 Grad

    niemals!!!! im Bereich 230 -260 Grad anlassen .....ab da wirds blau- spröde :!:

    da keine Elemente drin sind die Anlassbeständigkeit geben wie zbspl Wolfram, vorsichtig anlassen....nicht zu lange und nicht zu warm....
    für eine taffe Klinge empfehle ich Dir 2 x 45 Min 190 Grad....je nach Stärke der Schneide gibt das 60HRC +/-1

    ....und verwende einen Thermometer!....wenn Du es richtig und gut machen möchtest.

    Gruss Daniel

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    Der 1.1274 zählt zu den Federstählen und hat Cr und Ni 0,4% und Mo 0,10% .Geringe Mengen an Mo verhindern Anlasssprödigkeit.Das Abschrecken nach dem Anlassen in kaltem Wasser wird durch Mo überflüssig.
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    Hallo Daniel,
    vielen Dank für deine wertvollen Tipps und Hinweise!
    Ein paar Fragen hätte ich noch...

    Nach dem ersten Anlassen wird die Klinge also an Luft abgekühlt, bevor sie nochmal in den Ofen kommt? Bis auf Zimmertemperatur oder wie tief soll die Temperatur runter?
    Warum macht man das überhaupt, also 2 x 45 Minuten anstatt 1 x 90 Minuten? Was genau passiert in der Pause zwischen den beiden Anlass-Zyklen?

    Also keine Haltezeit im Ofen. Da ich einen Elektro-Ofen habe: Was meinst du, wie lange es dauert, bis eine 4,5 mm Klinge die Temperatur des Ofens angenommen hat?
    Ich werde jedenfalls darauf achten, dass die Klinge gleichmäßig glüht, bevor ich sie abschrecke!

    Das kann ich ja auch beim Normalglühen ausprobieren. Ich stelle den Ofen auf 820 Grad und mache dann die Erfahrungen mit der Haltezeit, bis die Temperatur stimmt. (Dann stelle ich zum Härten des Ofen auch auf 820 Grad und lasse die Klinge dann entsprechend lange drin.)
    Wieviele Zyklen sind beim Normalisieren sinnvoll? 3 klingen doch eher übertrieben, oder?

    LG Michael

  • Michael, normalerweise ist nach dem Anlassen abkühlen auf Raumtemperatur natürlich, aber.....ich schreck trotzdem in kaltem Wasser ab und auf in die zweite Runde anlassen,... keine Pause dazwischen.....das geht einfach schneller und ist im Zweifelsfalle immer gut oder besser.

    Warum man bestimmte Vorgänge beim Anlassen macht kann ich Dir hier auf die Schnelle nicht erklären, das würde in eine
    Riesen-Tipperei ausufern (schau mal in andere Foren, da erklären Kollegen wie A.Wirtz und U.Gerfin das sehr gut und sehr umfassend) sorry :greenslash:
    Um es von der Ursuppe aus praktisch betrachtend zu kommentieren mache man sich bewusst,
    dass Messer aus Feilenstahl(1,3-1,4%C+ einem Spritzer Cr und sonst nichts) in kochendem Wasser schon angelassen werden,
    dagegen ein hochlegierter ATS34 rostfrei nach Rotglut immer noch die gleichen 61HRC hat..
    ....und der 1274 ist eben 1% C und drei Spritzer Legierungselemente und der lässt Härte sofort nach.
    Auch im Gegensatz verglichen zu einem anlassbeständigen, wolfram-haltigen 2442 ist die Dauer des Anlassens wesentlich wichtig.
    Deshalb ist es empfehlenswert mit Anlasstemperaturen und Zeiten, besonders bei schwach-und unlegierten
    Werkzeugstählen bewusst zu sein.....erstmal wenig Temperatur(160-180Grad) und weniger Zeit(40-45Min) und dann praktisch testen was die Klinge kann...schärft sie schwer oder bricht die hohe Schärfe zu schnell weg, dann versucht man eben 10 Grad und/oder 10 Minuten mehr....ausprobieren und praktisch erleben.

    wie lange dein Ofen zum Anlaufen braucht kann ich nicht sagen, wenns ein kleiner Muffelofen ist dann hat er mit einem 4,5 mm starken und 200 mm langem Jagdmesser schon was aufzuholen.Du kannst von 1- eher 2 Minuten ausgehen....deshalb hab ich ja gesagt, Du sollst einen Thermometer verwenden, dann weisst Du, wann genau Du in welcher Temperatur wo bist...
    ....und der Stahlschlüssel sagt Dir was Du mit welchem Stahl wie machen sollst....also nochmal eindringlichst.

    Stahlschlüssel und Thermometer :!: ...Thermometer und Stahlschlüssel

    Wenn es kein geschmiedetes Material ist musst Du fast nie normalglühen....die meisten Stähle kommen schon in gutem Ausgangszustand vom Handel.
    ....lass das Normalglühen erst mal sein wenn es nicht sein muss, da kann man Mist bauen und den wieder hinbiegen ist unrentabel und manchmal nicht einfach oder auch unmöglich.
    Härte einfach zweimal hintereinander,...abschrecken, ÖL abwischen und wieder rein und wieder abschrecken und direkt! anlassen.
    bei manchen Werkstücken ist dreimal normalglühen gar nicht übertrieben....warum, bitte schau Dir Beiträge zu dem Thema von A.Wirtz oder U.Gerfin an
    Hast Du keine oder wenig Ahnung von Stahl dann, Finger weg von der Normalglüherei...erst bilden und etwas mehr wissen und dann kannst einen abglühen.

    aber alles egal, im Prinzip alles ziemlich einfach .... 8|

    ein Elektrofen,Thermometer, Stahlschlüssel, Stahl in guter deutscher Qualität und den Backofen in der Küche zum anlassen....unbeirrt das vorhandene Wissen und den Masterplan verfolgen und Du kannst nicht verlieren!
    .....old school, baby!

    Gruss :greenalien:

  • Vielen dank für deine ausführliche Antwort!
    Das hilft mir sehr weiter.
    Den Stahlschlüssel werde ich mir besorgen.
    Mein Ofen hat ein Thermometer. Ich denke, wenn ich die Klinge 2 Minuten drin lasse und dann vor dem Rausholen die Glühfarbe checke, müsste das klappen.

    Du sagst 2 x härten? Habe ich noch nie gemacht. Ich probiere es einfach mal aus!
    Worin unterscheidet sich eine Klinge, die nur einmal gehärtet wurde von einer, die 2x gehärtet wurde?
    Ist die dann härter?

    Ich finde das alles sehr spannend.
    Und ich muss endlich mal Zeit finden, die Bücher "Stahl-Metallurgie (Verhoeven)" und "Messerklingen und Stahl (Landes)" zu lesen.
    Zumindest verspreche ich mir davon, dass ich dann keine dummen Fragen mehr stellen muss ;)

    LG Michael

  • Michael
    Wenn Dein Ofen einen integrierten Thermometer hat heisst das noch lange nicht dass der auch stimmt....musste mit Eiswasser kalibrieren....Toleranz sollte etwa bei einem Grad liegen
    seperater Thermometer ist viel besser.
    ....und Du checkst den Thermometer :!: , die Glühfarbe ist drittrangig, da Glühfarbe in hellem Raum anders aussieht als in dunklem Raum, Person A sieht orange und Person B meint rot....kleb nicht so an der Farbe, Mensch! :S

    Eine Klinge die zweimal gehärtet wurde hat, wenn es richtig gemacht wurde, eine gleichmässigere Lösung, weniger Restaustenit, feineres Korn ....nein die ist nicht härter.
    den Ck101 solltest Du nur einmal härten....bilde Dich dazu über das Thema "Entkohlung", das ist ebenso wichtig.

    ....genau! Verhoeven, Landes, Gerfin, Wirtz.....das sind die richtigen Jungs in die richtige Richtung!

    Hau rein

    Gruss Daniel

  • Hallo Daniel,
    vielen Dank für die Antwort!

    Du hast oben geschrieben, dass man nach dem Härten direkt(!) anlassen soll.
    Warum ist das so?
    Wieviel Zeit darf maximal vergehen?

    Was hälst du von der Idee, beim ersten Härten eine Härteschutzfolie zu verwenden, um die Entkohlung gering zu halten?
    Bei C100 muss das Abschrecken ja blitzschnell gehen. Die Folie verhindert das natürlich.
    Beim zweiten Härten würde ich die Folie dann weglassen.

    Ist das ein guter Kompromiss oder bringt das hinsichtlich Restaustenit nichts?

    LG Michael