Ein krummer Hund: Das Spyderco C12 Civilian...
...schon eher eine Geschichte als ein Review...
Jeder Messer-Aficionado hat seine eigenen Vorstellungen von hässlich und schön, von handlich, praktisch, innovativ, unsinnig und langweilig.
Jedem von uns ist es schon passiert: man sieht ein Messer und der berühmte Funke will einfach nicht überspringen. Folglich ist es nach kurzer Zeit vergessen oder wird später sogar aus der Erinnerung gestrichen, weil uns sein Stil oder seine praktischen Eigenschaften nicht gefallen haben. Oft sind es aber genau diese Messer, mit denen interessante und spannende Geschichten verbunden sind.
Ein solches Messer ist für mich das Spyderco Civilian. „Was soll denn das sein, gibt es irgendwo ein hässlicheres Messer“ habe ich mich gefragt als ich das erste Mal ein solches Exemplar betrachtete. Tatsächlich waren „hässlich“ und „völlig unpraktisch“ wohl die beiden Charakterisierungen, die mir zuerst durch den Kopf schossen und in meiner Erinnerung für lange Zeit das Bild des Civilian dominierten.
Jahre später - anno 2014. Ich besuche mit einem Freund einen seiner Bekannten, beide sind Messerliebhaber und Besitzer kleiner Sammlungen. Messer werden betrachtet, begrabbelt und bespielt; es wird eifrig diskutiert. Ein Karton wird geöffnet und ein paar ältere Spyderco's kommen zum Vorschein. Ein 99er Military kommt ans Licht, es folgen ein „antikes“ Police I, ein Uralt-Endura mit AUS8 Klinge und schließlich sogar ein Worker. Dann folgt ein Starmate mit zweistelliger Collectors Club Seriennummer. Wow! Plötzlich weht der Mantel der Geschichte mit kaltem Hauch durch den Raum! Zum Schluss wird ein schwarzer Lederpouch mit goldenem Spyderco Logo geöffnet. Da liegt - jungfräulich und feist glänzend – eines dieser total hässlichen Civilian's mit Kraton Einlagen in den Aluminumgriffschalen. Ich öffne das Messer und betrachte die eigentümlich geschwungenen Klinge aus G2 Stahl. Die Stahlsorte G2 wurde nur in den Anfangstagen von Spyderco verwendet und taucht manchmal auch unter der Bezeichnung GIN-1 auf. Eines ist nun klar: dieses Messer ist ein sehr altes Schätzchen.
Schnell tauchen die alten (Vor-) Urteile wieder auf. Doch Halt! Stop! Moment mal! Hässlich? Unpraktisch? Nutzlos? Plötzlich bin ich mir überhaupt nicht mehr sicher. Ohne zu wissen, was man mit diesem Messer anfangen könnte, ändert sich mein Blickwinkel. Die Form der Klinge ist schwungvoll und durchaus elegant aber das Civilian wirkt trotzdem zweifellos bedrohlich … ich fühle aufkommendes Interesse.
Inzwischen ist das Civilian Teil meiner kleinen Sammlung und ich möchte es euch heute nicht nur vorstellen sondern dabei auch einen Blick auf die Historie dieses Modells werfen.
Das Civilian wird bei Spyderco unter der SKU C12 geführt. Die Bezeichnung „SKU“ gehört zum sogenannten „spydie-slang“ und steht für „stock keeping unit“, also eine Spyderco interne Typ- und Modellbezeichnung. Die Klinge des Civilian ist gut 100 Millimeter lang und besitzt einen doppelten Recurve. Sie ist geformt wie ein gestrecktes, liegendes „S“ und mit der berühmt-berüchtigten Spyder-Edge aus der Frühzeit von Spyderco versehen. Geierschnabel ist die erste Assoziation, die mir in den Sinn kommt. Schön geht doch irgendwie anders, oder? Hinten dran als Griff ein Stück Aluminium, mit rund 130 Millimetern nicht für zierliche Hände gedacht. Die Gesamtlänge von 233 Millimetern macht das Civilian zu einem stattlichen Folder, auf Fotos wirkt das Messer oft kleiner und zierlicher als es in Natura ist. Mit 134 Gramm ist das Messer gemessen an seiner Größe ein Leichtgewicht und die Griffstärke von nur 10 Millimetern trägt auch unter sommerlicher Kleidung nicht auf.
Wer braucht so ein eigenartiges Messer und welche Idee mag hinter dieser Klingenform stecken? Ein Blick auf die Spyderco Homepage hilft weiter:„In the 1990s Spyderco was approached by a specialized branch of U.S. law enforcement about making a knife for their undercover agents“. Aha! Eine Sonderheit der Justiz- bzw. Polizeibehörden hat Spyderco also in den 1990er Jahren darum gebeten, ein Messer für verdeckte Ermittler zu entwickeln. Breites Grinsen! Demnach eine Art „James Bond“ Messer!? Entwickelt für Menschen in Zivilkleidung, die – für amerikanische Gesetzeshüter höchst untypisch– ausnahmsweise mal ohne Schießeisen unterwegs sind. In brenzligen Situationen (Spyderco spricht von „lebensbedrohlichen Situationen“) soll dieses Messer als letzter Rettungsanker zur Selbstverteidigung dienen. Sal Glesser hat diese Version der Entstehungsgeschichte des Civilian bei verschiedenen Gelegenheiten bestätigt. Tatsächlich soll die Entwicklung des Messer mit der ungewöhnlichen Klingenform auf die Wünsche und Erfordernisse verdeckt arbeitender Drogenfahnder zurückgehen („... cops working undercover in crack houses ...“). Spyderco's Firmenphilosophie war immer deutlich patriotisch und loyal gegenüber Polizei und Militär. Die Zusammenarbeit mit „offiziellen“ Stellen wurde immer als Auszeichnung verstanden und mit Stolz und Hingabe ausgeführt.
Völlig unabhängig von meiner damaligen Einschätzung muss das Civilian schon immer seine Fans gehabt haben. Schließlich wird es von Spyderco seit Mitte der 1990er Jahre bis heute hergestellt. Große Änderungen hat es in diesem langen Zeitraum nicht gegeben. So ganz warm bin ich mit der Optik des Messers an dieser Stelle immer noch nicht und verleihe dem Civilian insgeheim den Titel: „hässlichstes nettes Kampfmesser der Welt“ :P. Immerhin hat sich an diesem Punkt bereits die Entstehung des Namens geklärt: wörtlich lässt sich der Name „Civilian“ mit dem Adjektiv „zivil“ und dem Hauptworten „Zivilist“ oder „Zivilperson“ übersetzen. Nun ist es eindeutig: das Civilian ist für Polizisten in Zivil entwickelt worden. Der Hinweis auf „LEO's“ (law enforcement officers) als primäre Zielgruppe findet sich außer auf der Spyderco Homepage an vielen Stellen in der Geschichte des Civilian.
Wann genau das Civilian auf den Markt kam, konnte ich nicht herausfinden. Die SKU C12 deutet auf ein Entwicklungsdatum um 1993 hin aber in keinem Katalog dieser Zeit taucht dieses Messer auf. Im Katalog von 1993 findet man bereits zwei Modelle mit höherer SKU die aus der Zusammenarbeit mit Bob Terzuola (C15 und C19) hervorgegangen sind aber das Civilian wird mit keiner Silbe erwähnt. Auch nicht 1996, 1997, 1998 oder 1999. Nichts, kein Wort über dieses Messer. Vielleicht handelt es sich doch um ein „James Bond Messer“, das nur oder zumindest hauptsächlich an Behörden geliefert wurde? Auf jeden Fall ist mein Interesse jetzt richtig erwacht.
Die Verwendung des G2 Stahls zeigt, dass die Civilian Serie ihrer SKU C12 entsprechend tatsächlich Anfang bis Mitte der 1990er Jahre auf den Markt kam. Schon lange vor Ende des Jahrzehnts setzte Spyderco auf andere Stähle: ATS34, ATS55, später VG-10 und schon bald auch auf CPM440V. In manchen Fällen hat Spyderco SKU's freigehalten, also nicht sofort für einen neu entwickelten Messertyp vergeben. Hinweise für ein solches Überspringen sind aber in der Geschichte des Civilian nicht erkennbar.
Spätere Serien des Civilian wurden mit Klingen aus ATS55 ausgestattet und etwa seit 2003 wird VG-10 eingesetzt. Die aktuelle Modellvariante wird mit G-10 Griffschalen bestückt und besitzt immer noch die Klinge aus VG-10 Stahl. Der erste Auftritt eines Civilian in einem Spyderco Katalog findet im Jahr 2000 statt. Ab diesem Jahr findet sich das Civilian in den Händler Katalogen, in den Standardkatalogen von Spyderco ist es erst ab 2006 enthalten.
Mitte der 1990er Jahre begann die Zusammenarbeit von Spyderco mit externen Messermachern bzw. Messerfachleuten, die bekanntesten aus der Frühzeit sind Bob Terzuola (C15,C19), Wayne Goddard (C16,C18,C20) und Michael Walker (C22). Das Civilian jedoch gehört noch in die Gruppe von Messern, die von Sal Glesser in den Anfangstagen von Spyderco allein entwickelt wurden. Zu dieser Gruppe kann man die Messer mit den SKU's C01 bis C14 rechnen. Dort hinein gehören so bekannte Namen wie Endura, Delica und Police. Alles Modelle, die auf dem Messermarkt richtungsweisend waren, sich sehr erfolgreich am Markt etablieren konnten und bis heute hergestellt werden.
Sal Glesser hat in den Gründungstagen seiner Firma die SpyderEdge Klinge entwickelt und dieses Konzept immer sehr engagiert vertreten. Kein Messermodell (folder) der ersten Jahre kam ohne SpyderEdge auf den Markt und Sal wurde niemals müde, die Vorteile dieses speziellen Wellenschliffs zu erläutern. Der Markt folgte seinem Enthusiasmus allerdings nur bedingt, viele Messerfreunde konnten sich damals wie heute mit der SpyderEdge nicht anfreunden und verweigerten den Kauf. Aus diesem Grund brachte Spyderco nahezu alle Modelle auch mit glatten Klingen (PlainEdge, PE) auf den Markt, die sich oft besser verkauften als ihre Pendants mit Wellenschliff. Als Beispiele für die Ablehnung der SpyderEdge Klingen durch breite Käuferschichten können unter anderem das Military und das Police dienen. Vor allem bei den „kleinen“ Foldern, also Messer mit Klingenlängen unter 70 Millimeter hat der SpyderEdge Schliff mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen. Wie bei Military und Police erzielen auch beim Sage, den Messern aus der Zusammenarbeit mit Frank Centofante oder dem „Howard Viele“ die Modelle mit Glattschliff höhere Wiederverkaufspreise.
Interessanterweise war und ist es beim Civilian genau umgekehrt. Zwar produzierte Spyderco auch eine Modellreihe des Civilian mit glatter Klinge aber der Absatz blieb seinerzeit deutlich hinter den Erwartungen zurück. Sal Glesser hat dazu einmal bemerkt: „Wir haben einige Messer (Civilians) mit glatter Klinge gemacht. Wie sich später herausstellte, war der Hauptkunde ein Filmhersteller, der die Messer dazu benutzte, Stücke des Filmmaterials von der Rolle zu schneiden. Als wir die Produktion der glatten Klinge einstellten, war es eben dieser Filmhersteller, der unseren gesamten Restbestand dieses Messers aufkaufte“. Danach ist nie wieder ein Civilian mit „plain edge“ Klinge erschienen und die wenigen verbliebenen Exemplare, sind gesuchte Raritäten auf dem Sammlermarkt.
Wie erklärt sich der Erfolg der SpyderEdge Klinge beim Civilian? Die Antwort versteckt sich im ursprünglich gedachten Einsatzzweck des Messers. Gedacht war es als „Lebensversicherung“ für Polizeibeamte in Zivil, als Backup-Messer für Cops oder als ultima ratio für Angehörigen von Spezialeinheiten. Also eine Verteidigungswaffe, dazu bestimmt, die Kleidung eines Angreifers zu durchtrennen und seine Kampftauglichkeit durch tiefe Schnitte in den Körper zu reduzieren. Nichts könnte diesen Zweck besser erfüllen, als eine Klinge, deren Wellenschliff dafür prädestiniert ist, weiche und nachgiebige Materialien zu schneiden. Zum Beispiel den dicken Stoff einer Winterjacke, eine widerstandsfähige Jeans oder einen gefütterten Handschuh. Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die eigenartig geschwungene Form der Klinge als wohl durchdachtes Konstruktionsmerkmal: Egal wie man Schnitte mit einem Civilian ausführt, die gesamte Kraft hinter dem Schnitt liegt an einem einzigen Punkt der Klinge an und potenziert die eingesetzte Kraft. Die Klinge ist schmal, scharf wie ein Katana und der Spyder-Edge Schliff tut ein übriges. Die Wellenform der Klinge zieht die Schneide fast von selbst in den Schnittkanal und dürfte sich im Einsatz als hoch effektiv erwiesen haben.
Ist das „hässlichste Kampfmesser der Welt“ also tatsächlich James Bond's Liebling? Neben den Eigenschaften des Messers und seiner Spezialisierung auf einen einzigen Einsatzzweck spricht auch die für Spyderco untypische Verkaufsstrategie dafür.
Wenden wir uns für einen kurzen Moment der aktuelle Serie des Civilian zu: Es wird immer noch unter der 20 Jahre alten SKU „C12GS“ geführt und wird immer noch mit einer Klinge aus VG-10 Stahl ausgestattet. Kein Wechsel auf „moderne“ exklusive und teure Stähle wie es bei den meisten anderen Spyderco Modellen der Fall ist sondern treues beharren auf einem erprobten, robusten, preiswerten Klingenstahl.
Als Griffmaterial wird bei den Großserienmodellen nach wie vor schwarzes G-10 verwendet. Der aktuelle Katalogpreis beträgt stattliche 289.95 US Dollar und der Straßenpreis liegt in den USA konstant über 220 Dollar. Auf dem europäischen Messermarkt ist das Civilian ein eher seltener Gast und für ein aktuelles Modell muss man dem Händler rund 270 Euro in die Hand drücken. Auf dem Gebrauchtmarkt sieht man hier in Europa nur wenige Civilian, das Messer hat hierzulande keinen großen Käuferkreis gefunden. Dementsprechend sind die Preise für gut erhaltenen Exemplare deutlich niedriger als in den USA anzusetzen.
Hier die nackten Daten des Civilian im Überblick:
Klingenlänge: 105 mm
geschliffene Klinge: 95 mm
Klingenstärke: 3mm
Klingenstahl: VG-10 (Früher auch: G2, später ATS55)
Klingenverriegelung: Back-Lock
Grifflänge: 101 mm
Griffmaterial: G-10 (Variante: Carbon)
Gesamtlänge: 233 mm
Gewicht: 134 Gramm